„Ick tippe auf Avocado-Hand.“ Martha Giesecke schloss das Fenster des Grünwalder Doktorhauses.
Ihre jüngere Kollegin, Marie-Luise Flanitzer, schrieb auf dem Computer gerade eine Bestellung für Verbandsmaterial.
„Avocado-Hand?“, wiederholte sie zerstreut.
„Jawohl. Franziska Hartwig ist im Anmarsch. Ihre linke Hand ist blutverschmiert.“
Schnell stand Marie-Luise auf und sah aus dem Fenster. Richtig, da kam die fünfzehnjährige Tochter ihrer besten Freundin im Eilschritt durch den Vorgarten. Mit der rechten Hand hielt sie sich die blutende linke. Ein etwa gleichaltriges Mädchen hatte ihr einen Arm um die Schultern gelegt und redete hektisch auf sie ein.
Marie-Luise Flanitzer lief zur Tür der Praxis und öffnete sie weit.
„Franzi! Was ist denn passiert?“ Mit einem routinierten Blick vergewisserte sie sich, dass kein frisches Blut aus der Wunde zwischen Daumen und Zeigefinger quoll.
„Ich habe mich geschnitten“, antwortete das Mädchen mit den schulterlangen rotblonden Haaren betreten. „Ganz blöd, mit dem Brotmesser.“
„Grüß Gott, Frau Flanitzer“, meldete sich ihre Begleiterin aufgeregt zu Wort. „Das hat vielleicht geblutet – echt krass! Deshalb sind wir lieber gleich hergekommen.“
„Das war genau richtig von euch, Jana“, versicherte Marie-Luise und schloss die Tür hinter den beiden Teenagern. „Herr Dr. Frank wird die Wunde gleich versorgen.“ Sie drehte sich zu ihrer Kollegin um. „Schwester Martha, wir müssen diese Patientin vorziehen. Ich sage schnell im Sprechzimmer Bescheid.“
„Und ick im Wartezimmer.“ Martha Giesecke kam um den hohen Tisch am Empfang des Doktorhauses herum. Sie wusste, welche Irritationen es auslösen konnte, wenn ein Notfall dazwischengeschoben wurde. In solchen Fällen bewährten sich ein paar erklärende Worte – und ihr strenger Blick, der keine Widerrede zuließ. „Servus, Mädels. Jana, du kommst am besten gleich mit mir.“
„Ins Wartezimmer?“, fragte das brünette Mädchen mit der Zahnspange enttäuscht. Sie hatte gehofft, Dr. Frank über die Schulter gucken zu dürfen. So etwas Spannendes passierte schließlich nicht alle Tage.
„Genau.“ Schwester Martha zwinkerte ihr zu. „Heute sind die neuen Zeitschriften angekommen. Bestimmt ist etwas für dich dabei.“
Janas Miene hellte sich auf. Sie schwärmte für Mode, konnte sich die Hochglanzmagazine aber nicht leisten.
„Na gut“, meinte sie und nahm den Arm von den Schultern ihrer Freundin. „Bis gleich, Franzi. Halt die Ohren steif.“
Marie-Luise ging mit Franzi den Korridor entlang. Als sie die Hand hob, um anzuklopfen, wurde die Tür des Sprechzimmers aufgezogen. Stefan Frank hatte eine Hand auf der Klinke, im Türrahmen stand der Patient, den er nach abgeschlossener Behandlung vorgehen lassen wollte.
„Herr Dr. Frank, wir haben einen Notfall. Schnittwunde.“ Die Arzthelferin trat einen Schritt zur Seite, damit der Patient vorb