Erstes Kapitel
Als meine Sekretärin die neue Klientin hereinführte, erhob ich mich und rückte höflich den Besuchersessel zurecht. Kirsten Hermani bedachte mich mit einem inquisitorischen Blick und einem formvollendet synthetischen Lächeln. Dann setzten wir uns.
Sie war ganz und gar nicht mein Typ. Das lag keineswegs daran, dass sie die Vierzig bereits überschritten hatte. Aber der konkrete Grund dafür erschloss sich mir im Moment noch nicht. Sie schien zu jenen Frauen zu gehören, die unter allen Umständen schlank sein wollen. Schlankheit bedeutet Jugend, so glauben sie. Manche dieser Frauen aber wirken lediglich... unterernährt. Frau Hermani jedenfalls konnte man rundheraus als dürr bezeichnen. Ihr Gesicht war hager und verhärmt, und wenn sie lächelte, erinnerte sie an einen Alligator, den man um das Frühstück betrogen hat.
Gekleidet war sie auf sonderbare Weise, wie man es öfter bei Frauen ihres Typs beobachten kann: Der Rock wirkt wie eine zu eng geratene Hose und die Kostümjacke wie eine stramme Weste. Kurzum – Frau Hermani sah aus wie ein ungeschickt verpacktes Paket. Von den Augenbrauen bis zum Charme, alles an ihr schien stromlinienförmig zurechtgemacht. Selbst der letzte Rest Natürlichkeit war in eine Uniform gepresst worden.
Sie legte ihre schmale graue Handtasche auf meinen Schreibtisch, streifte einen grauen Handschuh von den Fingern und blickte auf ihre mit Brillanten besetzte Armbanduhr.
»Sie habe schon eine Menge von mir gehört«, begann sie das Gespräch. Allerdings – wer hatte sie doch gleich an mich weiterempfohlen...? War es Walter Gregori gewesen...? Den Fall seiner Frau hätte ich in der Tat auf geradezu brillante Weise gelöst. So schwatzte meine neue Klientin, klapperte mit den Armbändern und bedachte mich zwischendurch mit ihrem Saurierlächeln.
»Ihr Vorname lässt vermuten, dass Ihre Eltern gewisse frankophile Neigungen hatten«, bemerkte sie. »Aber Sie wirken so deutsch wie das Arminius-Denkmal.«
Gelangweilt klärte ich sie darüber auf, dass mein Vater Deutscher, meine Mutter Französin war und ich selbst das Licht der Welt in Frankfurt am Main erblickte. Während ich sprach, musterte sie mich scharf. Natürlich konnte es ihr nicht entgangen sein, dass sie mir nicht sonderlich sympathisch war. Allerdings wusste ich immer noch nicht genau, warum ich ihr so wenig Sympathie entgegenbringen konnte.
Ich blickte ostentativ auf meine Uhr. Augenblicklich kam sie zur Sache.
»Ich verstehe. Sie haben viel zu tun. Es handelt sich um meinen Mann. Ich möchte, dass Sie sich des Falles annehmen...«
Sie hielt inne, als ich den Kopf schüttelte. Derartige Aufträge interessieren mich nicht.
»Tut mir leid, Frau Hermani. Wenn es sich um eine Scheidungsangelegenheit handeln sollte...«
»Scheidung!« Ihre kleinen dunklen Augen blitzten mich empört an. »Es handelt sich um einen Mord! In den Zeitungen steht wahrscheinlich noch nichts davon. Heute Nacht hat man meinen Mann ermordet. Gewiss...«, sie hob die Augenbrauen, »...man könnte das auch eine Scheidung nennen!«
Ihr Lachen klang schrill, beinahe hysterisch.