Artur Becker
Der unglückliche
Liebhaber Nr. 119198
Ein Vorwort
»Eisenschrott wird lediglich
von uns allen zurückbleiben –
Und das ohrenbetäubende, spöttische Gelächter
der Generationen«
Aus dem Gedicht »Lied« von Tadeusz Borowski
Der polnische Lyriker, Prosaist und Feuilletonist Tadeusz Borowski (1922 – 1951) überlebte drei Konzentrationslager: Auschwitz, Dautmergen-Natzweiler und Dachau. Sein Leben beendete er mit dem Selbstmord, nur wenige Tage nach der Geburt seiner Tochter. Den Gaskammern der Nazis war er entkommen, aber für seinen Suizid wählte er trotzdem das Gas, das er in seiner Warschauer Wohnung aufgedreht hatte. Was ihn zu seinem Suizid veranlasst haben mag, sorgt bis heute für Spekulationen. Die Enttäuschung über den Kommunismus? Eine unglückliche Liebe (er war wieder verliebt)? War er als stalinistischer Schriftsteller und Propagandist am Ende? Oder haben ihn die Erinnerungen an die Hölle des Vernichtungslagers Auschwitz in den Tod getrieben?
Im polnischen Bartoszyce, wo ich in den Siebzigerjahren zur Schule gegangen bin, war Borowski auch bei uns zu Hause Pflichtlektüre. Eine populäre Auswahl seiner Erzählungen aus den beiden Prosabänden »Der Abschied von Maria« (1947) und »Die steinerne Welt« (1948) sowie aus seiner Lyrik stand in der Bibliothek meiner Mutter, einer in unserem Städtchen bekannten Polonistin, in guter Nachbarschaft, nämlich zusammen mit anderen Büchern der Literaten, die über die Schrecken der deutschen Okkupation und ihrer Folgen in Polen geschrieben haben: Zofia Nałkowska in ihren »Medaillons«, Roman Bratny in seinem Generationsroman »Kolumbus Jahrgang 20«, Jerzy Andrzejewski in seinem phänomenalen Nachkriegsroman »Asche und Diamant«, Tadeusz Różewicz in seinem Gedicht »Der Gerettete« und in anderen Gedichten, Krzysztof Kamil Baczyński in seiner Kriegslyrik oder Seweryna Szmaglewska in ihrem literarischen Bericht »Rauch über Birkenau«.
Aber die Titel der Geschichten von Borowski machten mir, damals einem Jungen von dreizehn Jahren, Angst: »Willkommen in Auschwitz« oder »Meine Damen und Herren, zum Gas bitte« klangen bedrohlich, wussten wir doch alle, dass dieser Ort im Zweiten Weltkrieg die Hölle auf Erden gewesen war, obwohl er, nach 1945 in »Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau« umbenannt, in der Nähe einer der schönsten Renaissancestädte Europas liegt, nämlich bei Krakau. Ich komme aus Ermland und Masuren, unserKZ-Museum, das wir im Norden gut kennen, heißt Stutthof. Aber nach Oświęcim fuhren auch wir aus dem hohen Norden, vornehmlich bei diversen Ausflügen von Betrieben und Schulen. Borowski war jedenfalls Schullektüre und ein literarischer Held der jungen Generation wie Baczyński, der ungemein talentierte Dichter, der wie seine große Liebe Basia im Warschauer Aufstand gefallen war. Ich spreche hier von einer tragischen Dichtergeneration, den um 1920 Geborenen, die wie Baczyński oder Borowski durch die Apokalypse der Okkupation, des deutschen Terrors auf polnischem Boden, gehen mussten.
In der Bibliothek meiner Mutter fehlte bloß ein Name, aber er war uns auch bekannt und wir lasen ihn – vor allem nach der Wende: Gustaw Herling-Grudziński. Er gehörte ebenso zu Borowskis Generation und schrieb ein ganz anderes Lagerzeugnis: »Welt ohne Erbarmen«, erschienen 1951. Hier schildert er seine Gulag-Lagererlebnisse, das andere Böse, das jedoch seinen Ursprung in einem totalitären und ideologisierten Staat hat. Herling-Grudziński, der nach 1