Kapitel2
Zwei Jahre später
Willa
Mit geschlossenen Augen stehe ich in der Sonne und genieße die Wärme, die sich in meinem Körper ausbreitet. Nach einem weiteren langen Tag voller Unikursen und meiner Arbeit im hiesigen Gemeindezentrum ist dieser Moment wie ein tröstendes Pflaster.
Blinzelnd öffne ich die Augen wieder, bin aber noch nicht bereit, ins Haus zu gehen, sondern blicke mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel. Irgendwo dort sind die Sterne. Verborgen hinter dem strahlenden Blau.
Seufzend krame ich in meiner Umhängetasche nach meinem Schlüssel und öffne die Tür.
An den meisten Tagen bin ich dankbar dafür, in einer Dreier-WG mitten in Bockenheim gelandet zu sein, noch dazu in einem der frisch sanierten Altbaublocks. Eine Wohnung mit Doppeltüren, Parkettboden und sogar einem winzigen Balkon – das ist in Frankfurt als Studentin so etwas wie ein Sechser im Lotto. Nur befindet sich unsere Wohnung im obersten Stock, was bedeutet, dass es meine schmerzenden Füße erst mal bis dorthin schaffen müssen, ehe ich erschöpft aufs Sofa fallen darf.
Im Treppenhaus ziehe ich mich Stufe um Stufe am Geländer hoch und nehme mir fest vor, mich morgen nicht wieder dazu hinreißen zu lassen, Überstunden im Gemeindezentrum zu machen – auch wenn ich weiß, dass ich mir das regelmäßig vornehme, meinen Vorsatz jedoch immer wieder über Bord werfe.
Gerade habe ich den ersten Schritt in unsere Wohnung gesetzt, als jemand in mich hineinläuft.
»Oh, Entschuldigung.«
Perplex starre ich den jungen Mann an, der sich lässig das rote Haar nach hinten streicht und mich entwaffnend angrinst. »Schon okay«, sagt der Fremde und dreht sich zu meiner Mitbewohnerin Martha um, die hinter ihm im Flur steht. »Wir sehen uns.«
Sie erwidert nichts, sondern hebt einfach die Hand zum Abschied. Dann fällt die Tür hinter ihm ins Schloss.
»Wer war das denn?«, will ich anstelle einer Begrüßung wissen.
»Ach, nur Jordan«, sagt Martha, als sei nicht gerade ein gut aussehender Kerl an mir vorbeigelaufen.
Ich lasse meine Tasche neben die Garderobe fallen und schlüpfe aus meiner Jacke. »Nur Jordan?«
Martha zuckt mit den Schultern. Ihr langes schwarzes Haar hat sie zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden, aus dem Dutzende kleine Strähnen heraushängen. Ihr übergroßes Shirt ist ihr über die Schulter gerutscht und enthüllt eine der Tätowierungen, die sich über ihren gesamten Körper ziehen. »Wir haben nur gelernt«, behauptet sie, doch die Art, wie sie es betont, sorgt dafür, dass ich die Augenbrauen zusammenziehe.
»Nur gelernt?«
»Als Medizinstudentin habe ich keine Zeit, nebenher Sex mit meinen Kommilitonen zu haben«, erklärt sie mit einer ausladenden Handbewegung, wahrscheinlich, um zu signalisieren, dass sie nicht länger über Jordan reden möchte.
Mit einem kleinen Grinsen schüttle ich den Kopf. »Das lass ich gerade noch mal so durchgehen.«
Mit langen Schritten folge ich meiner Mitbewohnerin in die Küche. Dutzende Medizinbücher liegen verteilt auf dem Tisch herum, ergänzt durch Notizkarten in bunten Farben. Manchmal frage ich mich, wie Martha es schafft, unter all dem Druck noch zu funktionieren und gleichzeitig die Nächte damit zu verbringen, Cookies