: Gerhard Wegner
: Transzendentaler Vertrauensvorschuss Sozialethik im Entstehen
: Evangelische Verlagsanstalt
: 9783374058679
: 1
: CHF 17.90
:
: Praktische Theologie
: German
: 336
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Christliche Sozialethik muss ihre Grundsätze und Empfehlungen auch für religiös unmusikalische Menschen plausibel formulieren. Sie erwächst jedoch immer wieder neu aus christlich-kommunikativer Praxis, in der Gottes Vertrauensvorschuss - seine Verheißungen - in Wirtschafts- und Sozialpolitik artikuliert werden. So kultiviert sie die Kraft des Mythos in Distanz zu einer vermeintlich rationalen und pluralen Welt. Und liefert zugleich praktikable Orientierungen in den Dilemmata, die unsere Welt heute auszeichnen. Von daher behandelt der Autor Beiträge zu aktuellen Problembereichen wie Gerechtigkeit, Populismus, Gewalt, Familien, Unternehmen, Staat und Religion. [Transcendental Credit of Trust. Social Ethics in Process] Christian social ethics have to formulate their principles and recommendations in a way that is also plausible for religiously unmusical people. These ethics emerge always fresh from a communicate Christian practice in which God's credit of trust - his promises - is articulated in the field of economic and social policies. In this way Christian social ethics cultivate a power of the myth in distance to an alleged rational and plural world, at the same time giving practical orientations in regard to the conflicts of our world. From this perspective the author reflects on contributions to current problem areas like justice, populism, violence, families, corporations, state, and religion.

Gerhard Wegner, Dr. theol., Jahrgang 1953, studierte Evangelische Theologie in Göttingen und Nairobi. Er ist Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD in Hannover und apl. Professor für Praktische Theologie an der Universität Marburg.

Arbeit – die Gabe der Generationen1


Was hält eine Gesellschaft als übergreifenden Zusammenhang mehrerer Generationen zusammen? Das ist nichts anderes als die Arbeit, die die Generationen im Verhältnis zueinander, füreinander erbringen. Also die Arbeit als Gabe der jeweils einen Generation an die jeweils anderen. Zunächst leistet sie die Elterngeneration im Verhältnis zur nachwachsenden Generation ihrer Kinder und dann sind es später ihre eigenen Kinder, die wiederum dafür sorgen, dass die dann älteste Generation versorgt und würdig leben kann. Das Generationsverhältnis stellt folglich im Kern ein umfassendes, auf Gegenseitigkeit angelegtes Arbeitsverhältnis dar. Dabei besteht nur ein gewisser Teil aus ökonomisch organisierter, bezahlter Erwerbsarbeit – ein insgesamt gesehen wahrscheinlich noch viel größerer Teil besteht aus der Arbeit, die in Familien und Familienverbänden als Erziehungsoder Sorgearbeit erbracht wird. Schon ein erster Blick auf diese Zusammenhänge belegt folglich, wie ungeheuer gewichtig die füreinander erbrachte Arbeit für den Zusammenhalt, die Lebensqualität aller und damit insgesamt die Aussichten einer jeden Gesellschaft ist.

Arbeit als Gabe


Deutlich wird auch: Diese Arbeit ist weit mehr als nur das, was sich im Generationenvertrag oder auch sonst in irgendeiner Weise miteinander vereinbaren lässt. Diese Arbeit stellt in einem empathischen Sinne eine Gabe zwischen den Generationen dar, eine Gabe, die die Menschen verbindet – ganz im Sinne des klassischen Satzes: »All gifts are binding«, alle Gaben stiften Bindungen –, da sie reizprok ist. Ganz im Sinne neuer Forschungen zur Theorie der Gabe geht es hier nicht um etwas, was das Eigeninteresse der Generationen grundsätzlich kontrastiert, es geht nicht (jedenfalls nicht primär) um Gaben im Sinne einer altruistischen Beziehung. Von Interesse ist die Feststellung eines sozialen Rahmens, der die Menschen verpflichtet, füreinander in vielerlei Hinsichten da zu sein. Denn diese Gabe der Arbeit zwischen den Generationen ist obligatorisch. Sie kann nur um den Preis des Herausfallens aus der Gesellschaft verweigert werden. Sie kann allerdings in sehr verschiedener Form organisiert sein. Die mittel- und nordeuropäische Tradition des Sozialstaates setzt hier grundsätzlich andere Akzente als die familienbasierten Systeme Asiens oder die radikal marktorientierten Gesellschaften der angloamerikanischen Welt.

Es geht um eine Haltung, die durch den Austausch der Gaben konstituiert wird: um die Stiftung einer stabilen Beziehung. Mithin stellt der Zusammenhang der Arbeitsbeziehungen auch das Verhältnis der Generationen auf eine tragfähige und solide Ebene. Genau in dieser Hinsicht – das sei schon einmal vorweggenommen – stellt die von Menschen geleistete Arbeit auch stets, wie schon Karl Marx und Karl Polanyi zeigen konnten, sehr viel mehr dar, als nur eine von den Arbeitenden ablösbare Leistung (Arbeitskraft). Die Arbeit ist vom Leben selbst und vom Arbeiter untrennbar. »Selling one’s labor amounts to willingly or unwillingly entering some part of oneself, some dimension of one’s life, into the marketplace, even though one may wish to keep the two separate.«3 Dieser Befund trifft natürlich auf jede Art von Arbeitsbeziehung zu, aber er gilt ganz besonders noch einmal, wenn man eine