PROLOG
… etwa ein halbes Jahr bevor die Sommerfrische beginnt …
Natürlich hatte er gewusst, worauf er sich einließ.
Er hatte es ja so gewollt.
Von Anfang an hatte er es so gewollt.
Schon im Gymnasium hatte er diesen Plan gefasst, damals, als man ihm sowohl mit Worten als auch mit Schlägen und mehrmaligen Aufenthalten im Karzer klarmachen wollte, dass es für einen Galgenstrick und Tunichtgut – mochte er sich auch noch so großer Beliebtheit unter den Klassenkameraden erfreuen – keinen anderen Weg gab als den nach unten. In den Dreck, in die Gosse, auf das liederliche Pflaster, wo sich nur der Unrat der Gesellschaft herumtrieb und auf das ihm zugedachte Los harrte. Was erwartete so ein kleiner Proletarier auch anderes, der es allein durch die Fürsprache seines Pfarrers in eine anständige Schule geschafft hatte, nur um dort dann allen zu beweisen, dass es eben doch einen Unterschied zwischen denen gab, aus welchen etwas werden konnte, und jenen, die von Anfang an verloren waren?
Franz Stahlbaum verzog die Lippen zu einem grimmigen Lächeln, als er bei Nacht und rußig schmeckendem Nebel durch die engen Gassen der Stadt eilte.
Im Grunde hatten sie recht gehabt: Unter seinen Sohlen knirschte der Dreck der Gosse, das liederliche Pflaster, das man ihm immer prophezeit hatte. Allerdings hatten seine Lehrer, die mit Stock und Strafarbeiten sich damals redlich bemüht hatten, aus ihm doch noch ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu machen, ihn wohl eher in einer anderen Rolle imaginiert.
Ein Mann in der Uniform der Grazer Sicherheitswache winkte ihm von einer Toreinfahrt aus zu. »Herr Untersuchungsrichter, da oben«, er deutete auf eine schmale Treppe, die im Innenhof des Hauses in das oberste Stockwerk führte. Offensichtlich wohnten hier nur noch jene, deren Mittel gerade noch ausreichten, sich eine zugige Dachkammer zu leisten.
Franz nickte dem Mann zu, der daraufhin einen militärischen Gruß andeutete.
Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob der Mann ihn dabei spöttisch angesehen hatte. Hielt er ihn auch bloß für einen Wichtigtuer, der seine Jugend und seinen geringen Stand mit Übereifer zu kompensieren suchte?
Aber er hatte es doch geschafft! Was vor Jahren niemand ihm zugetraut hätte, hatte er getan. Wer hätte erwartet, dass ausgerechnet der Schüler Stahlbaum, der mehr Stunden im Karzer verbracht und mehr Schläge einkassiert hatte als alle andern, tatsächlich die Matura bestand – obwohl sich mehr als ein Lehrer gegen ihn ausgesprochen hatte? Wer hätte erwartet, dass er tatsächlich ein Studium beginnen, sich mit kleinen Hilfsarbeiten so lange über Wasser halten würde, bis er sich Magister Iuris nennen würde und nun als Untersuchungsrichter genau das täte, was so viele andere, die dasselbe Amt bekleideten, am liebsten an andere delegierten?
Er war hier, am Tatort eines Verbrechens.
Auch wenn er wusste, dass er nicht immer so genau nach Protokoll vorgehen konnte, wollte er zumindest am Anfang seiner Karriere es seinem Vorbild Hans Gross nachmachen und wirklich dort sein, wo etwas geschehen war.
Auf der Treppe kam ihm ein Mann entgegen, den Hut tief ins Gesicht gezogen, eine unförmige Tasche an der Seite, der einen Gruß murmelte, ohne ihn anzusehen.
Oben erwartete ihn ein weiterer Wachbeamter, der vor einer windschiefen Tür stand. »Da drinnen«, sagte er nur und stieß die Tür auf, die dabei ein klagendes Geräusch von sich gab. »Der Arzt war schon da. Tot. Die Nachbarin und die beiden Schlafgänger warten unten zur Befragung.«
»Danke«, erwiderte Franz. »Ich werde gleich kommen.«
Im Grunde hätte er diese Arbeit getrost auch jemand anderem überlassen können, genügte es doch vollkommen, wenn er danach das Protokoll mit seiner Untersc