: Luise Reddemann
: Die Welt als unsicherer Ort (Leben Lernen, Bd. 328) Psychotherapeutisches Handeln in Krisenzeiten (Corona-Praxisbuch)
: Klett-Cotta
: 9783608117080
: Leben Lernen
: 1
: CHF 22.70
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Corona-Krise als Herausforderung für die Psychotherapie - Das psychotherapeutische Praxisbuch zur Covid-19-Pandemie und darüber hinaus - Mit Interventionen und Beispielen Die fortbestehende Covid-19-Pandemie löst bei vielen gravierende Reaktionen aus, wie z.B. Ängste und Depressionen. Besonders betroffen sind Menschen mit Traumafolgeerkrankungen, die sich in ihrem Leben ohnehin nie ganz sicher fühlen können und in Ausnahmesituationen vom Verlust ihrer oft mühsam erarbeiteten Ressourcen bedroht sind. Um vulnerable Menschen gut durch diese und eventuell folgende Krisenzeiten begleiten zu können, braucht die Psychotherapie mehr und zum Teil anderes als das erlernte »Handwerkszeug«. Der Blick der »Existentiellen Psychotherapie« wird hier sinnvoll verknüpft mit den bestens eingeführten und bewährten Grundsätzen und Tools der »Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie« der Autorin. Über den praktisch-klinischen Schwerpunkt des Buches hinaus fließen auch Erkenntnisse aus Soziologie und Geschichte ein, die Hinweise darauf geben können, was wir als Gesellschaft aus Krisenzeiten lernen können. Dieses Buch richtet sich an: - PsychotherapeutInnen aller Schulen - TraumatherapeutInnen, beratende PsychologInnen - Alle, die sich in der gegenwärtigen Krise ein unterstützendes Angebot wünschen

Prof. Dr. med. Luise Reddemann ist Nervenärztin, Psychoanalytikerin und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. Seit gut 50 Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Trauma und Traumafolgestörungen. Von 1985 bis 2003 war sie Leiterin der Klinik für Psychotherapie und psychosomatische Medizin des Ev. Johannes-Krankenhauses in Bielefeld und entwickelte  dort ein Konzept zur Behandlung von Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen, die »Psychodynamisch imaginative Traumatherapie« (PITT). Luise Reddemann führt zahlreiche Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch. Im Rahmen ihrer Honorarprofessur an der Universität Klagenfurt für medizinische Psychologie und Psychotraumatologie widmet sie sich den Arbeitsschwerpunkten Resilienz sowie Folgen von kollektiven Traumatisierungen.  Luise Reddemann war Mitglied im Weiterbildungsausschuss der Deutschen Akademie für Psychotraumatologie, im Wissenschaftlichen Beirat der Lindauer Psychotherapiewochen und in der wissenschaftlichen Leitung der Psychotherapietage NRW.  Luise Reddemanns Bücher und CDs im Verlag Klett-Cotta haben auch bei Betroffenen weite Verbreitung gefunden und vielen Menschen geholfen, mit einer traumatischen Erfahrung besser fertig zu werden.  Weitere Informationen zu Luise Reddemann finden Sie unter: www.luise-reddemann.de

Kapitel 1

Soziologische und historische Blicke auf die Krise


1.1 Die Zerbrechlichkeit des Sozialen


Überlegungen des Soziologen AndreasReckwitz (2020) können für eine Psychotherapieergänzend wichtig sein: Er spricht von der »Zerbrechlichkeit des Sozialen« (o. S.), die uns nun gerade durch das Virus bewusst werde.Die Zerbrechlichkeit des Sozialen zeigt sich jetzt mit einer Wucht – denn es gab sie schon länger (vgl. dazu Tony Judts wunderbares Buch »Dem Land geht es schlecht«, 2014) –, die extrem beunruhigend wirken und die persönliche Zerbrechlichkeit verschärfen kann.10

Reckwitz (2020), Jahrgang 1970, meint auf die Frage desSRF: »Was haben Sie als Soziologe aus der Corona-Krise bislang gelernt?«, dass es ihn persönlich betroffen gemacht habe, wie zerbrechlich die Gesellschaft sein kann, denn seine Generation habe die Gesellschaft als etwas Stabiles erlebt. Eine Aussage, die mich eher verwundert, denn als ab Mitte der 90er-Jahre der Neoliberalismus bei uns Einzug hielt, habe ich, Jahrgang 1943, die Gesellschaft keinesfalls als stabil erleben können. Es erscheint mir wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, dass jede Generation eine eigene Sicht auf Erfahrungen – und damit auf die Zukunft – entwickelt (vgl. ebd., o. S.).11

Reckwitz betont, dass alles das, was wir dem autonomen Subjekt gerne zuschreiben, etwas sei, was man eigentlich erst könne, wenn man einen Subjektivierungsprozess in der Gesellschaft durchgemacht habe. Nun aber gebe es große Fragezeichen in diesem »Subjektivierungsprozess«. So hätten ja viele gelernt, anzunehmen, dass »alles« immer größer, besser, vollkommener werden könne, vorausgesetzt, man strenge sich nur genug an (vgl. kritisch hierzuCabanas & Illouz, 2019;Sennett, 1998).

Dazu wiederum am 2. 10. 2020 Tim Leberecht (vgl.Steingart, 2020), Unternehmer, Bestsellerautor (»Business-Romantiker«) und Vordenker für einen neuen Humanismus in der Wirtschaft in einem Interview: Wir können verlieren, ohne Verlierer zu sein. Wer eine menschlichere Wirtschaft wolle, der komme um das Verlieren nicht herum: »Unsere Erfolgsgeschichten sind immer auch die Verlustgeschichten der anderen. Wir ahnen durch Corona, dass die Ära des Gewinnens vorbei ist, dass wir in Zukunft immer mehr und immer wieder verlieren werden.« (ebd., o. S.)

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