: Leonie Abels
: Neuanfang auf dem kleinen Archehof
: MORE by Aufbau Digital
: 9783967972696
: Der Archehof zum Glück
: 1
: CHF 7.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 235
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Isabell hat sich in den Archehof Sonnentau verliebt und beschlossen, die kleine Gästepension weiterzuführen. Bald kann sie die viele Arbeit nicht mehr allein bewältigen, doch Rettung naht in Gestalt von Mike. Der attraktive Berliner sorgt allerdings für ungeahnten Wirbel. Auch Archehof-Chefin Peggy hat mal wieder ihren eigenen Kopf, und dann ist da noch die junge Caro, die ein wunderbares Händchen für Tiere besitzt, aber so gar keins für ihre menschlichen Zeitgenossen.

Doch das herzliche Miteinander und der Zusammenhalt auf dem Archehof ist Balsam für verletzte Seelen ...



Leonie Abels ist das Pseudonym einer erfolgreichen Schriftstellerin. Sie liebt das Landleben und alles, was man damit verbindet. Sie ist eine passionierte Kuhkraulerin, Eselliebhaberin und Ziegenfreundin. Außerdem ist sie bekennender Schwarzwald-Fan: die wunderbare Landschaft, die gute Küche und die  unkomplizierte Art der Bewohnerinnen und Bewohner begeistern sie immer wieder aufs Neue. Mit ihren Geschichten rund um den Archehof Sonnentau hat sie sich einen lange gehegten Traum erfüllt und einen Ort erschaffen, an dem sie selbst gern leben würde.

1.

Isabell


Sommer im Schwarzwald. Leuchtende, nicht enden wollende Tage. Zu frühester Morgenstunde klettert die Sonne über die Hügelketten im Osten und sorgt dafür, dass sich der Dunst, der von den dicht bewaldeten Steilhängen aufsteigt, rasch auflöst. Viehweiden und Streuobstwiesen baden in Licht.

Isabell liebt diesen Goldglanz, sie liebt die Klarheit der Luft, den Duft nach Fichtennadeln und frisch gemähtem Gras. Ihr morgendlicher Spaziergang ist ihr bereits zum festen Ritual geworden, und wie immer bleibt sie bei ihrer Rückkehr für einen Moment neben der Gänseweide stehen, um den Hof Sonnentau zu bewundern. Mehr als dreihundertfünfzig Jahre hat er auf dem Buckel, hat Geburten und Tode erlebt, Generationen beherbergt. Er hat dem rauen Klima getrotzt, hat Mensch und Tier Schutz geboten und tut es immer noch. Ein Haus wie eine Burg, von massiver Kompaktheit, zugleich strahlt es große Geborgenheit und Heimeligkeit aus.

Schwarzwaldhäuser sind wunderschön, muss Isabell wieder einmal feststellen, und ganz besonders dieses: Das tief gezogene Dach mit seinen hölzernen Schindeln, die hölzernen Balustraden, die weißen Sprossenfenster. Sie bilden einen aparten Kontrast zu dem beinahe schwarzen Holz, ebenso wie die rote Kletterrose mit ihrer üppigen, bis weit in den Herbst hineinreichenden Blütenpracht. Isabell ist regelrecht verliebt in diesen Anblick. So früh am Morgen und noch ausgeruht von der Nacht spürt sie immer am intensivsten, welch ein Glück es ist, in einer so wunderbaren Umgebung leben und arbeiten zu dürfen.

Es war die richtige Entscheidung, hier zu bleiben. Einen Neuanfang zu wagen.

Wie an jedem Morgen kann sie sich nur schwer vom Anblick des Hofes und der grandiosen Landschaft loseisen, doch die Gänse helfen ihr wie immer dabei. Mit wildem Geschnatter kommen sie angerannt und schieben fauchend ihre langen Hälse durch die Zaunlücken.Die wollen nur spielen!, hat ein Scherzbold auf einen in eine Klarsichthülle geschobenen Zettel geschrieben und ihn mit Reißzwecken am Torpfosten befestigt. Doch das vermeintliche ›Spiel‹ ist recht rabiater Natur: Die Gänse wollen zwicken, und wer nicht aufpasst, den erwischen sie auch.

Mit fast allen Tieren, die den Archehof bevölkern, ist Isabell schnell warm geworden. Viele hat sie lieb gewonnen, an einige sogar ihr Herz verloren. Die Gänse gehören definitiv zu keiner dieser Kategorien.

»Euch auch einen wunderbaren guten Morgen!«, ruft sie dem fauchenden Federvieh zu und geht weiter.

Nach ein paar Schritten haben die Gänse das Interesse an ihr verloren. Sie tun zwar ständig aufs Neue so, als wäre Isabell eine völlig fremde Person, aber würden sie sie nicht kennen, würde der Rabatz nicht so schnell enden. Auch das weiß sie inzwischen. Vielleicht hätte sie sonst dieses seltsame Geräusch überhört – ein eigenartiges Jammern und Greinen wie das eines winzigen Säuglings. Es kommt vom Holunderbusch und verstummt sofort wieder. Isabell tritt näher, bückt sich tief, entdeckt nun zwischen Erdkrumen und verwelktem Blattlaub ein schwarz-weißes Fellknäuel. Es ist eine junge Katze. Sie liegt auf der Seite, mit eigentümlich abgespreiztem Hinterbein, den Kopf überstreckt, die kleine Schnauze blutig. Ein schlimmer Anblick, bei dem Isabell erschaudert. Was tun?

Ihr erster Gedanke gilt Peggy, der Chefin des Archehofs. Peggy wird wissen, was zu tun ist. Isabell zückt ihr Smartphone, wählt Peggys Nummer, aber sie hebt nicht ab. Um diese Zeit ist sie mit dem Füttern der Tiere beschäftigt und irgendwo in den Ställen oder auf den Weiden unterwegs. Ihr Handy wird sie wieder einmal in der Küche liegen gelassen haben, auf dem alten Buffet, unmittelbar neben dem Ladekabel, aber nicht mit diesem verbunden. Isabell hat diese Szenerie deutlich vor Augen, weil sie so alltäglich ist. Ein zweckloses Unterfangen.

Sie seufzt auf. Jenny ist auch noch nicht da, also muss sie wohl selbst aktiv werden. Aber was wird dann aus dem Gästefrühstück?

Schnell wählt sie die Nummer von Emma, der Aushilfskraft, die heute ihren letzten Tag hat. Emma geht noch zur Schule, und ist, wie alle Jugendlichen, immer und überall erreichbar. Isabell schildert ihr kurz das Vorgefallene. »Kriegst du das hin mit dem Frühstück, bis ich zurück bin?« Emma glaubt schon. Die meisten Gäste kämen sowieso erst ab acht Uhr. »Aber denk dran: Tisch Sieben bekommt keine Brötchen, nur Porridge. Wegen des Glutens, du weißt ja.« Emma verspricht, auch daran zu denken. Womit das Wichtigste geklärt wäre.

Im Laufschritt eilt Isabell zu ihrem Wagen, den sie wie immer am Rande der Zufahrt zum Hofgelände geparkt hat, und holt eine Klappkiste sowie eine Decke aus dem Kofferraum. Sie stopft die Decke in die Kiste, rennt zum Busch zurück, zögert noch einmal kurz, ehe sie den Mut findet, das verletzte Tier zu berühren. Vorsichtig, ganz vorsichtig hebt sie die junge Katze hoch, die zwar einen Versuch unternimmt, sich zu wehren, aber kläglich scheitert. Ihr schwinden sichtlich die Kräfte.

Isabell stellt die Kiste behutsam auf dem Beifahrersitz ab, steigt ein, wendet ihren Wagen und steuert Mühlach an. In rascher Fahrt geht es das schmale Sträßchen hinab, das sich wie ein Schleifenband in Richtung Tal windet.

Nach wenigen Minuten erreicht sie die Kleinstadt und biegt in die Hauptstraße ein, die zugleich Hauptgeschäftsstraße ist, passiert einen Optiker, einen Sanitätsbedarf, einen Immobilienhändler. Die schönsten Geschäfte liegen zweifellos im historischen Stadtzentrum, aus dessen Mitte der gedrungene Kirchturm aufragt.

Im Herrengarten 13 lautet die Adresse der Tierarztpraxis, das weiß Isabell, ist selbst aber noch nie dort gewesen. Das Gebäude liegt am Ortsrand und wirkt auf den ersten Blick wie ein normales Wohnhaus. Direkt zur Straße hin befindet sich der Eingang der Praxis. Auf dem kleinen Parkplatz davor steht Theos Wagen. Theo Haller, der Tierarzt. Peggys Sohn.

Die Anspannung, die Isabell bereits die ganze Zeit verspürt, verstärkt sich um ein Vielfaches. Es ist die Sorge um das Kätzchen, keine Frage, aber auch das unmittelbar bevorstehende Zusammentreffen mit Theo – und womöglich mit Christina, ebenfalls Tierärztin und außerdem seine Frau.

Sie parkt neben Theos schlammbespritztem Geländewagen, steigt aus, trägt die Kiste zum Eingang, stellt sie vorsichtig ab. Die Praxis ist noch nicht geöffnet. Sie muss klingeln.

Nach kurzem Warten geht die Tür auf und Theo vor ihr. »Servus, Isabell!« Er hebt verwundert die Brauen, dann lächelt er breit und seine braunen Augen blitzen. »Was ist los? Sind die Gardinenstangen abgefallen? Oder klemmt eine Schranktür?«

Sie versteht die scherzhafte Anspielung sofort. Vor einiger Zeit hatten sie eine gemeinsame Renovierungsaktion in der Gästepension des Archehofs gestartet, die sie seit einigen Monaten leitet. Sein Hilfseinsatz war durchaus lobenswert gewesen, allerdings hatte er den Ernst und die Dringlichkeit, mit der sie zu Werke gegangen war, nicht ganz nachvollziehen können.

Isabell lächelt schwach. Jetzt ist anderes wichtig. Sie deutet auf die Kiste. »Ein Notfall. Ich hab sie eben gefunden. Oben beim Archehof. Ich glaube, sie hält nicht mehr lange durch.«

Theo beugt sich herab und erfasst mit einem Blick, was los ist. Er trägt die Kiste in einen Behandlungsraum, Isabell folgt ihm.

Behutsam hebt er das verletzte Tier auf den Untersuchungstisch. »Ach je, du armes Katerchen«, seufzt er mit Blick auf das verletzte Bein, dann schaut er kurz auf. »Ich gebe ihm zuerst etwas gegen die Schmerzen. Achte bitte darauf, dass er liegen bleibt.«

Isabell nickt erleichtert. Immerhin wird sich das kleine Wesen nicht weiter quälen müssen.

Theo zieht eine Spritze auf und verabreicht sie dem schwerverletzen Tier. »Dann wollen wir mal sehen, was dir noch so alles fehlt.« Er macht sich daran, den kleinen Kater eingehender zu untersuchen. Schließlich hält er inne, spitzt die Lippen, dreht sich halb um. »Christina?«, ruft er.

Seine Frau erscheint in der Tür. Sie trägt Jeans und ein helles Shirt. Ihr langes, glattes Haar ist noch feucht und hat die Farbe von Waldhonig. »Schon ein Patient da?«, wundert sie sich und erst jetzt bemerkt sie Isabell. »Oh, guten Morgen!« Isabells Anblick...