: Mariken Heitman
: Wilde Erbsen Roman
: Klett-Cotta
: 9783608123180
: 1
: CHF 17.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Ein Triumph der literarischen Phantasie.«Jurybegründung Libris Literaturpreis Elke ist anders, und das schon immer. Sie trägt nicht die richtige Kleidung, stellt nicht die richtigen Fragen, liebt in den Augen der Gesellschaft nicht die richtigen Menschen. Dadurch fühlt sie sich nirgends richtig zugehörig und stolpert immer wieder in absurde Situationen. Aber als Biologin weiß Elke, dass alles immer zum Licht wächst. Ein Roman, der alle Schichten freilegt, Schichten der Erde, der Zeit und der Vorurteile. »Wilde Erbsen« erzählt die Geschichte der Saatgutzüchterin Elke, die sich nach einem gescheiterten Versuch, eine neue Kürbissorte zu züchten, auf eine Insel vor der niederländischen Nordseeküste der Niederlande begibt. Sie will dort die Ur-Erbse wieder auswildern. Parallel zu diesem Vorhaben und Elkes eigener Identitätssuche tritt die mythische Figur Ra auf, die neuntausend Jahre zuvor in Südwestasien lebte. Ihr werden besondere Kräfte zugeschrieben, was sie zum Orakel und gleichzeitig zum Sündenbock für die Gemeinschaft macht. Ra scheint, genau wie Elke in der Gegenwart, in keine Schublade zu passen. Und auch die Erbsen beweisen, dass Binarität etwas ist, was in der Natur nicht existiert - bis der Mensch eingreift. Mariken Heitman hat einen klugen, zeitgemäßen und humorvollen Roman über Natürlichkeit, Landwirtschaft und die großen Fragen der menschlichen Existenz geschrieben. »Mariken Heitmans Roman ist vielschichtig, sprachgewandt und äußerst originell.« De Volkskrant »Heitman ist eine kluge und originelle Denkerin.« NRC Handelsblad »Ich war hingerissen von der präzisen, klingenden und phantasievollen Sprache, die nie pathetisch oder schwülstig wird. Dieser innovative Roman hat mich in jeder Hinsicht überrascht.« De Groene Amsterdammer

Mariken Heitman (1983) studierte Biologie in Utrecht und arbeitete mehrere Jahre im Bereich der ökologischen Landwirtschaft. Im Januar 2019 erschien ihr viel gelobtes Debüt »The Aquatic Ape«. Es wurde für den Jan-Wolkers-Preis und die Bronzene Eule nominiert und stand auf der Shortlist für den Anton-Wachter-Preis. Ihr Roman »Worm Moon« wurde 2022 mit dem Libris Literature Prize ausgezeichnet.

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Das Lenken eines Traktors ist ein Akt der Souveränität. Er nimmt den Feldweg und fährt auf den Acker, bereit, das Land umzugraben. Der Boden wird es zulassen, heute ist er kühl, aber gefügig. Seine kahl werdende Haut schimmert durch den Bewuchs. Winterroggen, noch in einer Art Grasstadium, deckt kaum. Die angekuppelte Maschine senkt sich. Brummend setzen sich die Spatenblätter in Bewegung, fressen Erde, pflügen in einem einzigen Arbeitsgang Roggen, Unkraut und Mist unter.

Noch vor einem Monat war der Boden von einer harten Kruste bedeckt. Nichts ist fester als gefrorene Erde, wie Bauern und Totengräber wissen. Der Frost war nur wenige Zentimeter vorgedrungen, doch das genügte, um den Traktor zu tragen. Die Erde ließ sich von den rollenden Reifen nicht verschlammen. Der Miststreuer spuckte Klumpen aus, dazwischen drehte sich quietschend die Zapfwelle, und die Schutzabdeckung klapperte wie ein tollwütiges Ungeheuer. Jedes Mal musste ich an die Bauern denken, die mit dem Ärmel darin hängen blieben. Immer die Zapfwelle ausschalten, wenn man schrauben muss, pflegte ich die Jungs anzuknurren, die mit dem Traktor arbeiteten. Noch lieber fuhr ich selbst, aber das gehörte schon lange nicht mehr zu meinem Aufgabengebiet. Deshalb schmückte ich meine Geschichten mit Schreien, Blut und Amputationen aus. Sie schauten mich begriffsstutzig an, mit ihren frisch rasierten Wangen und abgemähten Locken, der Pubertät gerade erst entwachsen. Denn das gehörte nun mal dazu, Gefahr ließ einen zum Mann reifen. Ohne Krieg, ohne ein zu eroberndes Mädchen war das unverzichtbar. Wenn sie immer noch viel zu schlaksig Kroketten und Weißbrot in der Kantine bestellten, sog ich im Vorbeigehen ihren Körpergeruch ein, der sich bereits mit dem von Erde, Mist und Diesel vermengt hatte. Erdklumpen lösten sich von ihren Arbeitsschuhen und blieben auf dem Linoleum liegen, ohne dass jemand etwas sagte.

Es ist, als würde ein erdfarbener Textmarker durch das Grün fahren. Unbebautes Land hat etwas Aufregendes. Ich nehme eine Handvoll Erde und zerdrücke sie. Noch etwas feucht. Der junge Mann im Fahrerhaus sieht sich um. Angestrengt späht er von der Spatenmaschine zu mir herüber. Wir nicken uns zu.

Dann ertönt ein lauter Knall. Die Spatenblätter kommen zum Stillstand, die Maschine bäumt sich ruckelnd auf, und der junge Mann springt aus dem Fahrerhaus. Auch ich betrete den Acker. Wir bücken uns und sehen einen Stein, so groß wie ein dicker Kürbis. Der dunkelgraue Granit ist von einer klebrigen Haut aus Erde bedeckt, dort, wo die Schaufel ihn getroffen hat, ist sie aufgeschürft. Quer über seinen zerschrammten Bauch verläuft ein silberner Streifen. Ansonsten ist er unversehrt. Um die Schaufel der Spatenmaschine ist es schlechter bestellt, wie eine verbogene Büroklammer hängt sie im Maul der Maschine. Seltsam, dieser eine Stein hier. In Skandinavien ist man das gewohnt, da steigen die Steine wie Heliumballons aus dem Boden. Jedes Frühjahr gehen die Äcker mit Steinen schwanger, und die Bauern müssen ihre Felder erst mal davon befreien, bevor sie loslegen können. Doch nicht die Steine, sondern die Erde ist ständig in Bewegung. Meist unmerklich, trotzdem glauben wir fest daran.

Der junge Mann ist bereits wieder ins Fahrerhaus zurückgekehrt. Er sucht nach Werkzeug. Ich nehme den Stein und gehe zum Büro, ein leuchtender Kasten in einer Schlammpfütze. »Zapfwelle ausschalten!«, brülle ich noch.

Im Büro begegne ich Bert. Ob ich mal kurz mitkommen könne, fragt er gehetzt. Ich folge ihm in sein Zimmer.

»Wir sind zu spät, Elke.« Seine Hand liegt auf einem Blatt Papier. »Was ist das?« Er zeigt mit dem Kinn auf meinen Schoß.

»Zu spät?«

»ABC Seeds sind uns zuvorgekommen. Ihr Kürbis weist zu viele Ähnlichkeiten mit unserem auf.« Er schiebt mir dasDIN-A4-Blatt hin. Der Text ist kurz, spricht aber eine eindeutige Sprache. Die getesteten Eigenschaften der beiden Sorten sind bis auf eine einzige miteinander vergleichbar. Auch ihr Kürbis reift früh, hat denselben Kiloertrag und dieselbe Farbe, sogar der kompakte Wuchs, der das Unkrauthacken erleichtert, ist mehr oder weniger derselbe. Nur der prozentuale Anteil an Trockenmasse unterscheidet sich. Ihrer ist höher. Unser Wettbewerber hat genau denselben Kürbis entwickelt, bis auf eine einzige, überlegene Eigenschaft. Ihr Kürbis ist nicht so wässrig. Doch noch viel wichtiger ist, dass ihr Zulassungsantrag früher eingereicht wurde.ABC Seeds darf ihre Sorte Plenty auf den Markt bringen, fü