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SENTA
Januar 1992
Ein letztes Mal schritten wir die Stufen der Kinderwunschpraxis hinunter. Meine Finger glitten haltsuchend über das Geländer, auf dem Eiskristalle in der Wintersonne glänzten. Sie tanzten vor meinen Augen wie ein Tischfeuerwerk. Als wollten sie mich verspotten. Markus reichte mir etwas unbeholfen die Hand, aber ich wollte die schmerzende Kälte dieses Geländers fühlen. Wahrscheinlich um zu testen, ob ich überhaupt noch etwas fühlen konnte. Außer dieser Leere in mir. Markus schien zwar auch enttäuscht zu sein, aber offensichtlich traf mich die Härte der Diagnose mit voller Wucht, während sie für ihn nur so etwas wie ein Streifschuss war. Er hatte sein Orchester, seine Reisen, seine Schüler … Ich hatte nichts. Nein, schimpfte ich innerlich mit mir.
Ich hatte meine Schwester Sonja, der es genauso ging wie mir. Natürlich. Das war ein großes Geschenk. Auch die Arbeit in der Firma meines Schwagers Paul am Friesenplatz, mitten im Herzen von Köln, machte uns viel Spaß. Das war schon sehr viel. Aber mein Lebenstraum von einer eigenen Familie würde sich nicht erfüllen.
Schweigend fuhren wir in die Innenstadt. Was sollten wir mit diesem sonnigen Wintertag noch anfangen?
Markus hatte die ganze Zeit noch kein Wort gesagt und ich, ganz entgegen meiner sonstigen Veranlagung, auch nicht. Sonja und ich litten normalerweise nicht an Sprachlosigkeit oder Wortfindungsstörungen – wir waren zwei rheinische Frohnaturen, um nicht zu sagen sprudelnde Quasselstrippen, deren Mitteilungsdrang und Ideenreichtum unerschöpflich waren. Die Sonne schien für uns auch, wenn sich schwarze Wolkenberge türmten.
Aber jetzt war ich stumm wie ein Fisch.
Sonja und Paul, die Menschen, die mir am nächsten standen, waren auf Sylt, und ich wollte sie mit meinen schlechten Nachrichten und meinem Weltschmerz nicht aus ihrer Winterferienlaune reißen. Die beiden arbeiteten hart und hatten ihre Auszeit wirklich verdient. Und vielleicht hatte es ja bei Sonja inzwischen geklappt?
Ich ertappte mich dabei, dass ich es mir sehnlich für sie wünschte. Wenigstens Tante konnte ich ja noch werden.
»Ähm … Wollen wir noch einen Spaziergang am Rhein machen?«, fragte Markus vorsichtig.
»Mir egal.«
Wir saßen schweigend da und betrachteten die kleinen Wellen, die der Wind auf dem Rhein tanzen ließ.
»Ach, Senta. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als nach vorne zu schauen!«
»Dir vielleicht.«
»He!« Er knuffte mich zärtlich. »So kenne ich dich ja gar nicht!«
»Dann wird es aber Zeit.« Ich setzte mich intuitiv auf meine Hände, damit er aufhörte, danach zu greifen. Komisch, aber im Moment konnte ich seine Berührungen nicht ertragen. Ich ließ den Blick über den grauen Fluss gleiten und dachte an das sich darüber und darunter tummelnde Leben. Nur in mir tummelte sich kein Leben! Niemals würde geschehen, worauf ich seit Jahren so inbrünstig hoffte. In meinem Kopf war nichts als Trostlosigkeit, gepaart mit Zorn über die Ungerechtigkeit, dass ausgerechnet ich – also, natürlich wir, kein Baby haben würden. Und alle anderen Leute schon. Ich sah in die vorbeifahrenden Autos hinein, in denen Familien hockten, als wäre das alles vollkommen selbstverständlich. Waren diese Ignoranten sich ihres Glücks überhaupt bewusst? Wieder traten mir Tränen in die Augen. Wütend wischte ich mir mit dem Ärmel über die Nase.
Markus warf mir einen besorgten Seitenblick zu. Entschlossen setzte er den Blinker und fuhr die Rheinpromenade entlang.
»Zoo?«
Ich presste die Lippen aufeinander. Wirklich, sehr einfühlsam!
»Damit wir lauter glücklichen Familien mit kleinen Kindern begegnen?!«, giftete ich ihn an.
»Oh, sorry. Vermintes Gelände. Natürlich kein Zoo.«
Mit verschränkten Armen beobachtete ich sein Einparkmanöver an der Bastei.
Er lief um den Wagen herum und half mir heraus – ich wehrte seine Hände ab und kam mir scheußlich gemein und zickig vor. Störrisch und stumm lief ich neben ihm her, in Richtung Dom. Mit schräg gelegtem Kopf musterte mich Markus von der Seite und versuchte auf seine rührende Art, mich aus der Reserve zu locken. Normalerweise fin