Kapitel 1
Sebastian saß mit um die Knie geschlungenen Armen da und schaute auf die Wellen, die gegen das Ufer krachten. Es schien verrückt, darüber nachzudenken, aber bis vor vier Tagen hatte Sebastian das Meer noch nie gesehen. Er hatte natürlich davon gehört, wusste, dass auf der ganzen Welt eine ganze Menge Ozeane verstreut waren, aber nichts hatte ihn darauf vorbereitet, im wirklichen Leben einen zu sehen.
Das türkisblaue Wasser erstreckte sich, so weit er sehen konnte. Es glitzerte an einigen Stellen, wo es das Sonnenlicht reflektierte und – was Sebastian am meisten mochte – die Wellen schienen fast so, als hätten sie ein ganz eigenes Leben.
Wenn es ein Muster gab in der Art, wie sie gegen die Felsen unter ihm prallten, musste Sebastian es erst noch herausfinden. Der Schaum kräuselte sich über dem harten Granit. Die Strudel aus Wasser erreichten fast seine Füße. Immer wieder erhob sich eine besonders heftige Welle und verschlang ihn fast in ihrer Umarmung. Sebastian war entzückt, wenn das passierte. Er war überhaupt völlig entzückt. Er saß hier, ließ das Wasser einfach um sich herum tanzen und es war so beruhigend, wie er es nie erwartet hätte.
Aber Sebastian hatte auch in seinem Leben noch nicht viele Gelegenheiten gehabt, sich beruhigen zu lassen. Vielleicht hätte er es also erwarten sollen. Vielleicht hätte er erkennen müssen, dass etwas so Einfaches ihm auf eine Art und Weise gefallen würde, die es sonst kaum gab. Warum sonst verbrachte er seit einigen Tagen so viel Zeit wie möglich an genau dieser Stelle? All diese freien Minuten zwischen den Nachforschungen, die für seine Zukunft so wichtig waren, die Nachforschungen, die die gesamte Richtung seines künftigen Lebens bestimmen würden …
Er seufzte bei diesem Gedanken und ließ sein Kinn auf seine Knie sinken. Seine Rippen protestierten gegen die Bewegung. Sie waren immer noch voller blauer Flecke und hatten ihm in diesen letzten Tagen, wenn er am Strand saß, immer wieder wehgetan. Er tat sein Bestes, um den Schmerz zu ignorieren, nicht nur in seinen Rippen, sondern an all den Stellen an seinem Körper, wo er verletzt worden war. Hier unten, an dieser Stelle, wirkte es fehl am Platz, als wäre es nicht Teil dieser neuen Welt.
Eine neue Welt …
Gab es so etwas wirklich? Sebastian drehte leicht den Kopf und schaute in Richtung der Küstenstadt, die er derzeit sein Zuhause nannte. Es war eine wunderschöne Stadt, die Häuser waren alle liebevoll gepflegt, die Straßen sauber und einladend. Die Gemeindehalle, die sich genau in der Mitte befand, war ein Zentrum der Aktivität. Die wenigen Male, die Sebastian auf dem Weg zum Strand daran vorbeigegangen war, waren dort Leute ein- und ausgegangen, lachend, lächelnd,glücklich.
Glücklich!
Es war so ein seltsames Konzept für Sebastian. Niemand war wirklich jemals glücklich. Leute lebten. Sie hielten es aus. So war es einfach. Aber hier? An diesem Ort? Nun, es schien ganz anders zu sein als das, was er gekannt hatte, was er gedacht hatte, was er sich vorgestellt hatte.
Was sollte das alles bedeuten? Er wusste es nicht. Es war sicherlich zu früh, um es zu sagen. Und doch gab es keinen Zweifel, dass sich in der letzten Woche viel geändert hatte, und er war sich sicher, dass sich das in den folgenden Wochen weiter ändern würde.
Er hob seinen Kopf bei diesem Gedanken. Seine Rippen beklagten sich erneut. Sein Herz tat es auch, schlug schmerzlich in seiner Brust. Sebastian ignorierte sowohl den Schmerz in seinen Rippen als auch den Schmerz in seiner Brust.
Er konnte nichts dagegen tun.
Eine Welle prallte gegen den Felsen unter ihm. Es war keine heftige Welle, aber sie war stark genug, dass Tröpfchen von salzigem Wasser ins Gesicht spritzen. Sebastian lächelte fast über das Gefühl. Vielleicht hätte er es getan, aber einen Augenblick später hörte er Geräusche hinter sich und jegliches mögliche Lächel