: Anja Marschall
: Die toten Engel von Kreta Kriminalroman
: Emons Verlag
: 9783987070624
: 1
: CHF 8.10
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 240
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die dunkle Seite Kretas, eindrücklich in rasante Bilder gesetzt. Thea reist nach Kreta, wo ihre Tochter einen tödlichen Unfall hatte. Doch die Tote, die sie identifizieren soll, ist nicht Anna. Wo ist ihr Kind? Zusammen mit einem geheimnisvollen Einheimischen, der sich Alexis nennt, stellt Thea auf eigene Faust Nachforschungen an, denn die Behörden verweigern ihre Hilfe. Nach und nach muss sie jedoch erkennen, dass Alexis von ganz eigenen Motiven angetrieben wird. Wer ist er wirklich - und was will er von Theas Tochter?

Die gebürtige Hamburgerin Anja Marschall lebt mit ihrer Familie im Westen Schleswig-Holsteins, wo sie als Journalistin und Autorin arbeitet. Sie veröffentlicht seit vielen Jahren Romane und Krimis. Im Emons Verlag erscheint ihre erfolgreiche historische Krimireihe (Ende 19. Jh.) um ihren Kommissar Hauke Sötje, der vornehmlich in Hamburg und Schleswig-Holstein ermittelt. Marschall initiierte den ersten Krimipreis für Schleswig-Holstein und ist Herausgeberin mehrerer Anthologien.

3

Der gelblich weiße Klinikbau war kleiner, als sie erwartet hatte. Er sah aus wie eines der vielen Hotels mit ihren Flachdächern und schmucklosen Fassaden, an denen sie vorbeigefahren waren. Ein Zaun, dahinter Palmen, eine Auffahrt mit mannshohen Agaven, ein Parkplatz, Menschen, die emsig hinein- und herauseilten.

Man geleitete sie und Gravert in den hinteren Teil des Klinikgebäudes. Ein älterer Grieche mit stolzem Oberlippenbart erwartete sie bereits. Er stellte sich in bestem Englisch als Leitender Oberarzt vor. Ein uniformierter Polizist stand bei ihm und schaute mürrisch zu Thea und Gravert herüber, während der Arzt erklärte, dass die Obduktion auf dem Festland vorgenommen werden würde. Thea nahm alles wie durch Watte wahr. Sie wollte zu ihrer Tochter.

Der Oberarzt bat sie, ihnen zu folgen. Sie hatte seinen Namen nicht verstanden. Der Konsulatsmann drehte sich zu Thea, legte eine Hand auf ihren Unterarm und bot zum wiederholten Mal an, dass er die Identifizierung für sie übernehmen könne, wenn sie es wünsche. Stumm schüttelte Thea den Kopf.

Bis auf einen klapprigen Stuhl war der Raum leer und wirkte schäbig. Durch ein Fenster war statt Sonnenschein ein Nebenraum zu sehen. Dort ging ein Riss in der gefliesten Wand wie ein gezackter Blitz von der Decke bis nach unten. Es kostete Thea übermenschliche Anstrengung, den Blick an der Linie entlanggleiten zu lassen, Fuge für Fuge, bis er auf die schwarzen Locken eines Mannes traf, der in dem Raum wartete.

Langsam fuhren Theas Augen über seine Schulter, weiter am weiß bekittelten Arm entlang bis zu seiner Hand. Sie hielt den Zipfel eines Lakens, mit dem man Annas Körper bedeckt hatte.

Thea zögerte. Sie spürte die Ungeduld der Männer.

Auf einen Wink des Oberarztes hin hob der Pfleger das Tuch und schlug es bis zu den nackten Schultern der Toten zurück. Theas Knie wurden weich. Sie griff in die Luft, suchte Halt, fand Graverts Arm.

»Es tut mir leid«, flüsterte er. »Ich hatte Sie gewarnt. Der Unfall ist wirklich schwer gewesen. Ein Fall aus großer Höhe. Sie starb an inneren Blutungen.«

Jemand schob ihr einen Stuhl zu. Thea wollte sich nicht setzen. Stattdessen trat sie einen Schritt näher an die Scheibe, die sie von der Bahre mit dem toten Leib darauf trennte. Sie legte eine Hand auf das kalte Glas. Die langen Haare, das schmale Gesicht. Ja, es war Anna. Und auch wieder nicht. Was machte der Tod mit einem, wenn er erst einmal sein Werk vollendet hatte?

»Arm, rechts«, krächzte Thea. Als niemand reagierte, wiederholte sie die Worte ein wenig lauter und erklärte, dass Anna als Kind von einem Hund gebissen worden sei. »Sie hat Narben.«

Gravert sagte etwas zu dem Mediziner neben ihm. Der Arzt drückte auf den Knopf einer altmodischen Gegensprechanlage und gab einen Befehl, woraufhin der Pfleger den Arm freilegte.

Thea sackte zu Boden.

Die Ohnmacht konnte nicht lange gedauert haben. Man half ihr auf den Stuhl.

»Das ist nicht Anna.« Sie hörte ihre eigene Stimme wie aus weiter Ferne. Trocken und heiser fügte sie hinzu:»Not my daughter. Not Anna.«

Der Polizist, der bisher nur schweigend dagestanden hatte, grummelte etwas, das wie ein Fluch klang.

»Kennen Sie die Tote?«, wollte er in g