Kapitel 1
Jana
Ein Jahr später
»Warum willst du dich nicht scheiden lassen?« Marlene war immer schon direkt gewesen, hatte nicht lange um den heißen Brei geredet. Sie warf ihr blondes Haar zurück und nippte an ihrem Kaffee.
Scheidung? Das Wort erwischte Jana eiskalt.
»Wir haben noch kein einziges Mal über eine Trennung gesprochen«, erwiderte sie zaghaft auf die Frage.
Ein erholsames Frauenwochenende näherte sich dem Ende. Nun saßen sie am Frühstückstisch, Jana hatte sich ein Müsli mit frischen Früchten geholt, Marlene Schinken mit Ei.
»Solltest du aber. Seit dem Tod des Babys hat Felix dich im Stich gelassen. Ich sehe ja, wie du leidest. Nicht einmal unser Wochenende hat er dir gegönnt.«
»Er war sauer. Ausgerechnet diesmal hatte er offenbar gemeinsame«, sie malte Gänsefüßchen in die Luft, »Pläne mit mir. Seit meinem Unfall haben wir nie mehr etwas zusammen unternommen, ich war lediglich ein Möbelstück für ihn. Fast hätte ich nachgegeben, er hatte diesen Blick drauf, den liebevollen, wie damals.« Jana schluckte. »Aber schließlich ist er in seinem Arbeitszimmer verschwunden, wie immer, und hat mich stehen lassen. Ich Idiotin hab dann sogar Tante Helma angerufen und sie um Rat gefragt. Du weißt, wie nahe sie mir steht. Vor allem seit meine Mutter auf Mallorca lebt.«
»Sie ist wirklich ein Schatz.«
»Ja, sie war das ganze Jahr hindurch immer für mich da. Dabei ist sie nicht mal meine Tante, sondern die von Felix. Weißt du, was sie gesagt hat?« Sie verstellte ihre Stimme eine Oktave höher. »Kindchen, du musst mal raus aus dem Sumpf! Hach, am liebsten würde ich meinen Neffen an den Ohren packen, weil er so stur ist. Ihr seid bei der Hochzeit ein so wundervolles Paar gewesen.« Jana brach ab, fast hätte sie geweint. Helma war so weichherzig.
Marlene nahm einen Schluck Kaffee.
Jana rührte in ihrem Müsli. »Ich weiß, dass ich so nicht weiterleben kann«, sagte sie leise.
»Jana, du bist unglücklich. Das sieht jeder, nur dein Mann verschließt die Augen.« Marlene griff nach ihrer Hand. »So kann es nicht weitergehen. Du solltest vielleicht wieder arbeiten, ich weiß, wie sehr dir das Krankenhaus fehlt. Während unserer Ausbildung warst du diejenige, die förmlich für den Job gebrannt hat. Ich werde nie begreifen, weshalb Felix nicht wollte, dass du deinen Beruf ausübst.«
»Es wäre nicht nötig, hat er immer gesagt. Schließlich verdiene er genug.« Jana schob sich einen Löffel Müsli in den Mund und zog gleichzeitig ihre andere Hand zurück.
Sie waren an diesem Tag ausnahmsweise fast die Letzten im gemütlichen Frühstücksraum mit den rot karierten Tischdecken. In den vergangenen drei Tagen hatte sich zum ersten Mal seit dem Unfall ein gewisses Gefühl der Unbeschwertheit eingestellt.
Marlene hatte recht, sie sollte wieder im Krankenhaus arbeiten. Es herrschte permanenter Mangel an Pflegekräften. Sie musste etwas tun. Alles war besser, als daheim allein herumzusitzen. Felix kompensierte seinen Schmerz mit einem gewaltigen Arbeitspensum. Zwar verbrachte er die Abende meistens zu Hause, verschanzte sich jedoch in seinem Arbeitszimmer.
Von einem weiteren Kind wollte er nichts wissen.
Wie auch, da er ihr gemeinsames Bett mied wie die Pest.
»Felix und ich waren so unglaublich verliebt ineinander.« Sie sah auf. »Das kann doch nicht innerhalb eines Jahres einfach verschwinden.«
»Ihr konntet Lukas’ Tod nie richtig aufarbeiten. Aber daran bist nicht du schuld, sondern Felix, weil er jedes Gespräch abblockt.« Marlene schob ihren leeren Teller zurück und stand auf. »Ich hole mir noch ein paar Früchte. Eine solche Auswahl gibt es zu Hause nicht.«
Jana löffelte ihr Müsli zu Ende. War es wirklich nur Felix’ Schuld? Er hatte sich seit dem Unglück verändert. Sie hatte eine Stunde eingeklemmt im Wagen gelegen, ehe die Feuerwehr sie hatte befreien können. Da hatte sie be