KAPITEL 8
Corinna hatte gerade das Café verlassen, als Materna sie anrief.
»Jens, willst du kontrollieren, ob ich meine Medizin nehme oder mir erklären, warum du offenbar auf der Flucht vor irgendwem bist? Ich habe dich gesehen.«
»Du musst mir helfen, Corinna«, sagte Materna ängstlich.
»Himmel, was hast du denn? So kenne ich dich gar nicht. Erzähl mal, was passiert ist!«
»Die Bullen sind hinter mir her. Irgendjemand will mir etwas anhängen.«
Corinna hielt die Luft an. Die Erinnerungen an ihre letzten, unseligen Monate im Polizeidienst kamen unweigerlich hoch. Sie erwartete, dass ihr Körper sich der Stress-Situation unterwerfen und ihr klare Signale senden würde, es langsamer anzugehen. Sie verharrte kurz und horchte in sich hinein. Ob es der zweifache Milchkaffee oder die Kortison-Dröhnung von Nadja war, sie spürte keinerlei Schwäche. Im Gegenteil: Wäre ein Baum in der Nähe gewesen, hätte Corinna Dupont in diesem Augenblick versucht, ihn auszureißen. »Jetzt mal langsam, Jens. Das heißt, die Polizei war auf dem Weg zu dir, als du die Kurve gekratzt hast?«
»So ungefähr … Mein Anwalt hat mich rechtzeitig gewarnt.«
»Dein Anwalt? Wofür brauchst du einen Anwalt? Und woher wusste er das? Und überhaupt: Wie kann er dir raten, vor der Polizei zu fliehen?«
Materna entwich ein spitzes Lachen. »Geraten hat er mir dazu nicht, es war mein Impuls zu fliehen. Willst du mir nun helfen oder nicht?«
»Ja doch«, gab Corinna zurück. »Aber wir sollten uns irgendwo treffen. Wo versteckst du dich?«
»Ich schicke dir gleich eine Adresse. Ist eine Wohnung, die ich für bestimmte Anlässe angemietet habe.«
Sie rümpfte die Nase, als hätte sie etwas übel Riechendes wahrgenommen. »Wie bitte? Was denn für … Egal, ich komm da hin, du erklärst mir deine Misere und ich versuche, zu helfen. Bis gleich.«
Die Adresse entpuppte sich als luxuriöse Maisonettewohnung in unmittelbarer Nähe des Phönixsees. Materna öffnete Corinna angespannt die Tür und zog sie hinein. »Dir ist hoffentlich niemand gefolgt?!«
Sie verdrehte die Augen und warf einen Blick aus dem Fenster, das beinahe die gesamte Wand umfasste. »Schön ist es hier. Wohnen am See nicht auch etliche BVB-Profis?«
»Kann sein. Ich hab’s nicht so mit Fußball. Schon vergessen?«
Corinna schnippte und lächelte dünn. »Stimmt ja, ein weiterer eigentümlicher Charakterzug!«
Materna reichte ihr ein Glas Wasser.
»Wasser? Jens, vielleicht ist mir eher nach einem vollmundigen Portwein? So wie es hier aussieht, hast du alles, was das Frauenherz begehrt, auf Lager. Habe ich recht?«
»Alkohol wäre in deinem Zustand keine gute Idee. Hast du das Medikament schon abgeholt?«
Corinna schüttelte den Kopf. »Nee, und weißt du auch warum? Seitdem ich deine Praxis verlassen habe, bin ich nicht zur Ruhe gekommen. Zuerst musste ich mit deiner Diagnose klarkommen, dann erfahre ich, dass mein Ex-Chef wieder in Amt und Würden ist, und das, obwohl er mehr Dreck am Stecken hat als so manch einer, den er eingebuchtet hat. Und schließlich meint mein alter Schulfreund, den Staatsfeind Nummer 1 mimen zu müssen. Aber ich verspreche dir, mir das Zeug gleich morgen zu besorgen. Jetzt erzähl mal, was es mit deiner Flucht auf sich hat. Was wirft man dir genau vor?«
Materna fuhr sich nervös mit beiden Händen durchs Haar. »Ich soll eine Patientin vergewaltigt haben. Das ist alles vollkommen lächerlich, aus der Luft gegriffen und geradezu absurd. Wäre ich nicht rechtzeitig gewarnt worden, säße ich jetzt schon in Untersuchungshaft.«
Corinna traute ihren Ohren nicht. »Moment mal: Das sind gleich zwei Dinge, die du mir erklären musst. Von wem hat dein Anwalt denn diese Informationen?«
»Du musst nicht alles wissen, Corinna. Ich kann den Mann nicht einfach ans Messer liefern, das verstehst du doch.«
Sie stand auf und ging zur Tür.
Ihr Arzt schaute verwirrt. »Was soll das, wo willst du hin?«
Corinna verharrte und drehte sich um. »Was das soll? Das fragst du mich? Entschuldige vielmals,