2. Kapitel
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend, das nichts mit der Übelkeit zu tun hatte, die nach dem Schlag auf seinen Hinterkopf aufgetreten war, betrat Sontheim das Polizeirevier in Hürth. Die große Uhr im Empfangsbereich des Präsidiums zeigte dreiundzwanzig Uhr siebzehn, als der Beamte am Tresen Notiz von ihm nahm. Der übergewichtige Mann mit dem talgigen Gesicht war den blauen Dienstgradabzeichen auf den Schulterklappen seines Hemdes nach Polizeiobermeister. Sein Alter konnte er nur schlecht einschätzen, Sontheim glaubte aber, dass er nicht älter als fünfunddreißig Jahre alt war. Der Atem des Mannes roch unangenehm nach einer Mischung aus Knoblauch und Zwiebeln, als er ihn ansprach.
»Mein Name ist Lukas Sontheim. Ich möchte die Entführung und körperliche Misshandlung einer jungen Frau anzeigen.« Der Beamte starrte den spätabendlichen Besucher mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund an, erwiderte aber zunächst nichts. »Mann, ich habe nicht ewig Zeit und die verschleppte Frau erst recht nicht. Was ist jetzt, wollen Sie sich anhören, was ich zu sagen habe oder mich weiterhin blöd anglotzen?«, meinte Sontheim genervt.
»Am besten kommen Sie einmal um die Theke herum und nehmen dort auf dem Besucherstuhl vor meinem Schreibtisch Platz. Dann können wir uns in Ruhe über Ihre Anzeige unterhalten. Roland, übernimmst du bitte den Empfang, während ich mich mit Herrn Sontheim unterhalte«, bat der Beamte den Kollegen, der sich gerade an der Kaffeemaschine zu schaffen machte.
Sontheim folgte der Aufforderung und nahm auf dem Stuhl Platz. Dem Namensschild zufolge, das auf dem Schreibtisch stand, hieß der Beamte, der seine Anzeige aufnehmen wollte, Bernd Schmidtke.
»Also, dann erzählen Sie mir bitte einmal der Reihe nach, was genau passiert ist und was Sie mit der Geschichte zu tun haben«, begann der Polizeiobermeister, nachdem er umständlich auf seinem Schreibtischstuhl Platz genommen hatte. »Und ich hoffe in unser beiderseitigem Interesse, dass das hier nicht nur ein blöder Scherz von Ihnen ist und Sie meine Zeit verschwenden. Ansonsten habe ich unten im Keller eine schöne Ausnüchterungszelle für Sie.«
Wichtigtuer, dachte Sontheim, beherrschte sich aber, den Gedanken laut auszusprechen. Dann begann er damit, Schmidtke von der unheimlichen Begegnung und dem anschließenden Überfall auf seine eigene Person auf der Brühler Landstraße zu erzählen.
»Ich fasse das noch einmal kurz zusammen«, begann Schmidtke, nachdem Sontheim zu Ende erzählt und der Polizeiobermeister das Protokoll getippt hatte. »Gegen zweiundzwanzig Uhr fünfundvierzig haben Sie das Haus Ihrer Eltern in der Südstraße in Meschenich verlassen, um nach Hause zu fahren. Kurz hinter dem Ortsausgangsschild ist dann plötzlich diese junge Frau auf die Straße gelaufen, der Sie gerade noch mit Ihrem Wagen ausweichen konnten. Als Sie nach der Unbekannten sehen wollten, haben Sie festgestellt, dass ihr der Mund zugenäht war und ihr die Augenlider fehlten. Dann wurden Sie von hinten niedergeschlagen und als Sie aufwachten, war die junge Frau verschwunden. Zeugen für diesen Vorfall gibt es keine. Ist das soweit korrekt?«
»Genau so war es«, erwiderte der Ex-Polizist.
»Hm.«
»Was soll dieses Hm bedeuten?«
»Sie haben nicht zufällig heute Abend schon etwas getrunken, Herr Hauptkommissar Sontheim a. D.?«
»Aha, jetzt verstehe ich. Sie haben einen Backgroundcheck zu meinen persönlichen Daten gemacht und festgestellt, dass wir einmal Kollegen waren und ich wegen diverser alkoholbedingter Dienstvergehen entlassen wurde.«
»Haben Sie nun Alkohol getrunken oder nicht?«, wiederholte Schmidtke, ohne darauf einzugehen. Dabei blickte er Sontheim nicht einmal an. Stattdessen verharrte sein Blick auf dem Monitor. Sontheim vermutete, dass der Beamte damit beschäftigt war, weiterhin seine Akte zu studieren.
»Nein, das habe ich nicht.« Er war kurz davor, die Geduld zu verlieren. Einerseits konnte er das Misstrauen des Polizeiobermeisters durchaus nachvollziehen. Andererseits ging es hier um das Leben einer jungen Frau, und er befürchtete, nicht ernst genommen zu werden.
»Also hat sich alles genau so zugetragen, wie Sie mir das geschildert haben?«
»Sonst wäre ich kaum hier, Herr Polizeiobermeister.«
»In Ihrer Akte steht, dass Ihr letzter großer Fall die Ermittlung gegen den sogenanntenSchlächter war, der rein zufällig seine Opfer auf dieselbe Art und Weise verstümmelt hat, wie Sie das eben geschildert haben. Komischer Zufall, oder?«, meinte Schmidtke, der Sontheim mittlerweile mit seinen Schweinsaugen taxierte.
»Hören Sie, Herr Schmidtke. Ich weiß selber, wie absurd sich das alles anhört. Und wenn ich an Ihrer Stelle wäre, hätte ich ganz bestimmt ähnliche Bedenken, diese Geschichte zu glauben! Aber da draußen ist irgendwo eine jun