Kapitel 1
Der Sommer hatte seinen Höhepunkt schon fast überschritten. Es war August geworden. Der See war angenehm warm, und als ich nach meiner nachmittäglichen Schwimmrunde wieder an Land ging, klebten mir die ersten herbstlich gefärbten Pappelblätter am Bauch. Nach den letzten, kühleren Tagen hatten sogar ein paar der hartgesottenen Camper geunkt, dass nun der Herbst losging. Aber damit hatten sie sich Gott sei Dank geirrt!
Mein Campingplatz – den ich seit drei Monaten verkaufen wollte, aber es irgendwie nie schaffte – war nämlich gerade bis auf den letzten Platz belegt, und schlechtes Wetter wäre nicht das gewesen, was ich jetzt hätte brauchen können! Allein wenn ich an die vielen Eltern dachte, die hier ihren Zelturlaub verbrachten, überkam mich das kalte Grauen! Streitlustige Kinder auf so engem Raum bei Regen und Kälte war nicht wirklich Urlaub! Aber zum Glück für uns alle präsentierte sich der Spätsommer in voller Pracht.
»Ksch«, sagte ich zu Milo, meinem geerbten Hund, der schwarz und riesig auf meinem Badetuch lag. Doch der blieb auf dem Tuch liegen, den Kopf zwischen den Pfoten, und rollte die Augen treuherzig in meine Richtung. Milo war nicht nur alt, sondern auch taub. Und vielleicht hatte er auch eine andere Vorstellung von Nachmittagsgestaltung als ich. »Mach dir nicht die Mühe aufzustehen«, sagte ich schulterzuckend. »Ich hole dich heute Abend ab.«
Mit einem Stöhnen wuchtete sich Milo nun doch auf, und ich schnappte mir Nonnas uraltes zartrosa Badetuch mit den dunkelrosa Rosenblüten. Während ich meine Nase in den alten Frotteestoff drückte, erlaubte ich mir, ein paar Sekunden an meine geliebte Nonna zu denken, die mein Leben in den letzten drei Monaten so gehörig durcheinandergewirbelt hatte: Denn meine Großmutter hatte mir ihren Campingplatz vererbt und mich damit urplötzlich aus meiner Heimat Hamburg in die bayerische Provinz geholt.
Gemeinsam schlappten Hund und ich die Treppe hinauf zum Campingplatz. Dort knurrte Milo als Erstes einen winzigen Hund mit sehr haarigen Ohren an. Das fand ich ziemlich gemein, weil der Hund wahrscheinlich nur so viel wog wie drei Päckchen Zucker. Allerdings hatte er ein Ego, das an Milos herankam, wenn es das nicht sogar übertraf. Der Besitzer blieb stehen und tätschelte Milo den riesigen Schädel, obwohl Milo noch immer knurrte.
»Ach, du süßes Mäuschen«, sagte er. So hätte ich den knurrenden Milo, der steifbeinig drohend um den Kleinen herumging, nicht bezeichnet, und ich hielt ihn vorsichtshalber am Halsband fest.
Soviel ich wusste, hieß der Camper Sebastian Kern. Er war allein unterwegs und bestimmt ein paar Jährchen jünger als ich. Er hatte etwas von der Niedlichkeit seines Hundes – ein Papillon mit gepflegtem weiß-schwarzem Fell. Nicht nur der Hund sah sehr adrett aus, sondern auch Sebastian Kerns Wohnwagen, seine Tischdecke und sein Auto. Ich wünschte, mein Hamburger Noch-Ehemann Martin hätte unsere Wohnung so in Schuss gehalten!
»Nicht so süß wie Ihrer«, sagte ich zuvorkommend und zog Milo weiter, der sich das unwillig gefallen ließ.
Als ich fast bei der Rezeption angekommen war, sah ich, dass sich Evelyn gerade mit einem Mann unterhielt, der mit dem Rücken zu mir stand. Evelyn war eine meiner Dauercamperinnen. Das war vielleicht die falsche Umschreibung, denn von Camping hielt sie nicht viel. Seit drei Monaten schlief sie auch nicht mehr in ihrem Wohnmobil, sondern hatte sich in meinem Gästezimmer eingenistet. Der Ma