: G. K. Chesterton
: Menschenskind Die turbulente und phantastische Geschichte des Innozenz Smith
: apebook Verlag
: 9783961301164
: 1
: CHF 2.40
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: Erzählende Literatur
: German
In Beacon House zieht ein neuer Mieter ein. Es ist ein Sonderling namens Innozenz Smith. Wie Mary Poppins wird dieser Mann von einem großen Wind begleitet, und er haucht dem Haushalt mit seinen Spielen und Mätzchen neues Leben ein. 'Menschenskind' (engl. Original: 'Manalive', 1912) ist ein Buch von G. K. Chesterton (1874-1936), in dem das sowohl in seiner eigenen Philosophie als auch im Christentum populäre Thema des 'heiligen Narren' beschrieben wird, wie auch in Dostojewskis 'Der Idiot' und Cervantes' 'Don Quijote'. Der Umfang dieses eBooks entspricht ca. 250 gedruckten Seiten.

Wie der Sturmwind Haus Leuchtfeuer heimsuchte


Hoch aus den Lüften im Westen kam ein Wind daher, der wie eine Woge maßlosen Glückes ostwärts durch ganz England raste und einen kühlen Waldesduft und den kalten Rausch des Meeres hinterließ. In Millionen Winkel und Ecken drang er hinein und erfrischte wie ein kalter Trunk und überraschte wie ein Schlag. In den verstecktesten Gemächern verborgener, winkeliger Häuser rüttelte er, wie eine häusliche Explosion, alles auf; er wehte die Papiere irgendeines Professors auf die Erde und wirbelte sie umher, bis sie, weil sie davonflogen, kostbar erschienen, oder er blies eine Kerze aus, bei deren Schein ein Knabe die »Schatzinsel« las, und hüllte ihn in tosende Dunkelheit. Überall brachte er Bewegung in unbewegte Menschenleben, gleich einem Sieger, der die Welt verwandelt. In einem armseligen Hinterhof hatte so manche besorgte Mutter fünf zwerghafte, auf einer Waschleine hängende Hemdchen betrachtet, die wie eine kümmerliche kleine Tragödie aussahen, als ob sie ihre fünf Kinder erhängt hätte. Da kam der Wind, und sofort waren die Hemdchen feist und strampelnd, als ob fünf dicke Kobolde in sie hineingesprungen wären, und in dem bedrückten Unterbewußtsein der Mutter stieg eine dunkle Erinnerung an jene naiven Lustspiele ihrer Vorfahren auf, als die Elfen noch unter den Menschen weilten. So manches unbeachtete Mädchen hatte sich in einem feuchten, von Mauern eingeschlossenen Garten mit derselben verzweifelten Geste in eine Hängematte geworfen, mit der sie sich in die Themse hätte werfen können, aber dann kam jener Wind und riß die wehende Wand der Wälder entzwei, hob die Hängematte wie einen Ballon und zeigte dem Mädchen in weiter Ferne groteske Wolkengestalten und Bilder von heiteren Dörfern weit unter ihr, als führe sie in einem Zaubernachen durch das Himmelszelt. So mancher verstaubte Beamte oder Hilfsgeistliche, der auf einer endlosen, teleskopartigen, von Pappeln umsäumten Straße müde dahinschritt, dachte zum hundertsten Male, wie sehr die Bäume den wehenden Federn auf einem Leichenwagen ähnelten, als diese unsichtbare Kraft sie packte und tosend um seinen Kopf schleuderte, wie eine Girlande oder einen Gruß von Engelsschwingen. Dieser Wind hatte eine Kraft, die begeisternder, gebieterischer war als der alte Wind des Sprichwortes; denn dieser war ein guter Wind, der keinem etwas Böses brachte.

Dieser Wirbelsturm traf gerade die nördlichen Höhen Londons, dort, wo die Stadt steil, terrassenartig, wie in Edinburgh, aufsteigt. Auf dieser Stelle ungefähr war es, wo ein Dichter – wahrscheinlich war er berauscht – erstaunt auf alle diese himmelwärts strebenden Straßen blickte. Gletscher und aneinandergeseilte Bergsteiger schwebten ihm dabei vor, und er nannte diese Stelle »Schweizerhütte«; seitdem ist sie diesen Namen nicht mehr losgeworden. An der Westseite jenes steilen Abhanges stand in einiger Höhe im Halbkreis eine Reihe von hohen, grauen Häusern, die fast so kahl und öde aussahen wi