PROLOG
18. Oktober 1944
HEDWIG stand in der Küche ihres Elternhauses und ihre Mutter packte gerade ein dünn mit Schmalz bestrichenes Brot in ein mit Fettflecken übersätes Stück Papier. Hedwig hatte schon die Tasche in der Hand, die ihre Mutter aus einigen Stoffresten genäht hatte und Unterwäsche, Strümpfe und Hedwigs zweites Leinenkleid zum Wechseln enthielt. Sie nahm das Brot, das bis zum Abend ihren Hunger stillen musste, und legte es zu ihren Anziehsachen. Dann verschloss sie die Tasche mit den beiden Knöpfen, die ihre Mutter zwischen den Henkeln befestigt hatte, die sie aus dem speckigen Leder eines alten Gürtels angenäht hatte.
In den letzten Wochen war das zu einem morgendlichen Ritual geworden. Das Brot gegen den Hunger und die Wäsche, falls eine Rückkehr in ihr Zuhause nicht mehr möglich sein würde. So ausgerüstet machte sie sich jeden Tag auf den Weg in den Kindergarten, in dem sie bei der Betreuung der Mädchen und Jungen half.
Aber heute war es irgendwie anders. Ihre Mutter schaute sie mit verweinten Augen an. Sie sah sehr erschöpft aus, so als hätte sie in der Nacht zu wenig geschlafen.
Gestern Abend, als die zwei Soldaten an die Haustür geklopft hatten, war Hedwig von ihrer Mutter in ihr Zimmer geschickt worden. Natürlich hatte sie durch das Schlüsselloch gespinkst und gesehen, dass ihre Mutter den beiden Männern schon kurz nach deren Auftauchen einfach die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Danach war sie ins Schlafzimmer gegangen und erst wieder herausgekommen, als es heute Morgen Zeit war, ihrer Tochter ein Brot zu schmieren.
Hedwig schaute auf die Tasche in ihrer Hand und fragte: „Mutti, was wollten die Soldaten gestern Abend von dir?“
„Nichts Wichtiges. Sie haben gefragt, ob wir auch evakuiert werden wollen“, antwortete ihre Mutter und drehte ihr dabei den Rücken zu.
„Aber das möchtest du nicht?“
„Nein.“
„Aber es fallen doch immer öfter Bomben auf Bonn, sogar das Krankenhaus wurde schon getroffen. Darüber hast du doch vorgestern erst mit Frau Schmitz gesprochen?“
„Hedwig, vertrau mir, wir sind hier auf der rechten Rheinseite sicher. In Beuel gibt es nichts, was sich zu bombardieren lohnt.“
„Außer das Krankenhaus“, erwiderte Hedwig patzig und ihre Mutter drehte sich um und schaute sie streng an. Hedwig senkte ihren Blick und betrachtete ihre abgewetzten Schuhe, die ihr hoffentlich noch eine Weile passen würden.
„Jetzt geh endlich, sonst kommst du noch zu spät“, ignorierte ihre Mutter ihr vorlautes Verhalten und Hedwig