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Vio hatte ihr auf der Insel ein Zimmer besorgt. Das war so typisch! Wenn Neles Großmutter etwas wollte, schuf sie Tatsachen. Es war immer noch Hauptsaison, und auf Rügen gab es so gut wie keine freien Unterkünfte. Doch das war nichts, was sie akzeptierte.
Sobald Nele erwähnt hatte, dass sie jetzt zu der Fahrt bereit war, hatte Vio sich zum Telefonieren zurückgezogen und ihr eine Viertelstunde später einen Zettel hingelegt. »In dieser Pension gibt es ein Zimmer für drei Nächte. Ich habe einfach die Besitzerin des Gartens gefragt. Sie kennt sich ja aus und hat das für dich klargemacht.«
»Wieso drei Nächte?« Insgeheim hatte Nele gehofft, die Aktion mangels Unterkunft doch noch auf den Herbst schieben zu können. Aber wenn sie das unbedingt jetzt machen musste, würde eine Nacht ja wohl genügen. Dann war sie wenigstens rechtzeitig zurück, um dem Bühnenbild den letzten Schliff zu geben.
»Weil ich will, dass du mir ausführlich von dort berichtest!«, sagte Vio bestimmt. »Und weil du in Ruhe den richtigen Platz für meine Kiefer finden sollst.«
Da erst begriff Nele, wie enorm wichtig ihrer Großmutter dieser Baum war, warum auch immer. »Möchtest du nicht mitkommen?«
Vio schüttelte den Kopf. »Das ist mir viel zu anstrengend. Das Gerüttel auf der Straße, das lange Sitzen. Du machst das schon!«
»Und warum möchtest du das Bäumchen nicht noch eine Weile behalten, wenn es dir so viel bedeutet?«
»Weil ich zu meinem neunzigsten Geburtstag in ein Heim gehen werde.«
Nele öffnete den Mund zum Widerspruch, doch Vio hob die Hand. »Darüber haben wir oft genug gestritten. Ich habe mich bereits angemeldet. Mir gefällt es da, eine Freundin lebt dort schon, und sie haben einen Park. Ich werde ganz bald für einige Probewochen dort wohnen. Nur einen Balkon habe ich nicht, darum gibt es keinen Platz für den Baum. Wenn du eine schöne Stelle in dem Geschichtengarten findest, geht es mir gut, und dem Baum auch. Wirst du das für mich tun, ja oder nein?«
Nele ergab sich. »Natürlich mache ich das.«
»Und hör bitte auf, ›das Bäumchen‹ zu sagen«, fügte Vio leise an. »Es ist eine Kiefer! Ein Baum ist eine Persönlichkeit. Er ist einzigartig.«
Da hatte Nele noch darüber geschmunzelt. Doch nun, da sie nach der ermüdenden Fahrt endlich auf die Brücke nach Rügen zusteuerte, ertappte sie sich bei der Frage, ob der junge Baum wie sie unter der Hitze und dem Rütteln litt. Nele war ein Stadtkind. Sie wusste so wenig über Bäume, obwohl ihr unterwegs Dinge einzufallen begannen, die Vio ihr früher erzählt hatte, als sie noch klein gewesen war.
»Ich hoffe, es geht dir gut«, sagte sie unwillkürlich laut zu dem zarten, schwankenden Wesen auf dem Beifahrersitz, wo sie es festgeschnallt hatte, damit es bei einer Bremsung nicht herunterfiel. »Übrigens danke für den Duft.« Der Geruch der Kiefernnadeln erinnerte Nele an die heißen Bäder, die Vio ihr damals im Winter gemacht hatte, wenn sie durchgefroren vom Schlittenfahren im Stadtpark heimkam. Das passte jetzt zwar nicht zum Wetter, aber der Gedanke nahm der Schwüle etwas von der Stickigkeit, wie eine frische Brise.
Vielleicht verband so etwas ja – eine gemeinsame Reise.
Vio hatte Bäume immer als Wesen betrachtet, mit denen sie auf Augenhöhe umging. Als Kind hatte Nele gedacht, ihre Großmutter erzähle Märchen über die Bäume, so wie sie auch von Hexen und Zwergen und sprechenden Z