Joyce
»Wirklich gut. Das gefällt mir.«
Jake hatte sich neben mich gestellt und begutachtete meine Arbeit. Die dunklen Haare fielen ihm leicht in die Stirn, während er den Kopf über meine Mappe beugte und jede Zeichnung mit kritischem Auge betrachtete. Die vielen Tattoos an seinen Armen ließen erahnen, mit welcher Leidenschaft er seinem Job nachging.
»Danke, dass du dir so kurzfristig Zeit genommen hast«, sagte er, ohne den Blick von den Blättern abzuwenden.
»Passt gerade gut«, erwiderte ich.
Vor einigen Monaten hatte er mich in L.A. auf meine Arbeit an der Außenwand einer Bar – dem Hot Chocolate – angesprochen und mir daraufhin einen Job angeboten. Jake baute sich in San Francisco gerade ein eigenes Tattoo-Studio auf und suchte jemanden, der ihm eine Wand im Laden sowie die Außenfassade seines Ladens gestaltete. Zuerst war ich skeptisch gewesen, als dieser tätowierte Kerl mich angesprochen hatte. Ich ließ mich nicht von jedem anquatschen, aber irgendwie war mir seine Art dann doch sympathisch gewesen. Und nachdem der Besitzer des Hot Chocolate sich für ihn verbürgt hatte, hatte ich ernsthaft drüber nachgedacht. Denn tatsächlich kam sein Angebot zur rechten Zeit.
Seit Monaten wurden die Jobs immer rarer, es wurde schwierig, sich über Wasser zu halten. Die Streetart-Künstler schossen in L.A. wie Pilze aus dem Boden, und viele von ihnen unterboten meine Preise. Das war hart, aber ich sah es auch nicht ein, meine Arbeit unter Wert zu verkaufen. Schließlich waren die Werke, die ich auf Kundenwunsch anfertigte, Einzelstücke, über denen ich im Vorfeld meist tagelang brütete. Ich machte für jeden Auftrag mehrere Entwürfe, beschäftigte mich intensiv mit den Vorstellungen des Auftraggebers, damit das fertige Ergebnis auch zu der Philosophie der Firma oder dem Menschen passte, der es bestellt hatte. Ganz zu schweigen von der eigentlichen Fertigstellung, die je nach Auftrag Tage oder auch mal Wochen in Anspruch nahm. Ich suchte je nach Größe des Bildes Farben aus und bestimmte die Mengen. Meist malte ich auf Wänden, sodass ich vorher für einen glatten Untergrund sorgen musste, bevor ich überhaupt mit der eigentlichen Arbeit anfangen konnte.
Von meinen Einnahmen konnte ich gerade so die Miete für das kleine Einzimmerapartment bezahlen, das ich zur Zwischenmiete bewohnt und das auch schon mal bessere Tage gesehen hatte. Aber es hatte seinen Zweck für die wenigen Wochen, die ich dort verbracht hatte, erfüllt. Es war immerhin bezahlbar gewesen, und ich hatte ein Dach über dem Kopf gehabt. So hatte ich mir tagelang dieselbe Frage gestellt: Was hielt mich in L.A. noch? Zudem zahlte Jake gut, und das hatte letztlich den Ausschlag gegeben. Ich brauchte das Geld. Heute Morgen war ich in San Francisco angekommen. Ob ich nach meinem Auftrag hier wieder zurück nach L.A. gehen würde oder in eine andere Stadt, wusste ich im Moment noch nicht. Je nachdem, was sich ergeben und wo es mich hinverschlagen würde. Ich war flexibel.
Jetzt stand ich in seinem Laden, der noch mehr nach Möbellager aussah als nach Tattoo-Shop. Es roch nach Holz und Leim, einzelne Schrankteile lehnten scheinbar nach einem System geordnet an der einen Wand, Tüten voller Müll und Folie häuften sich an der anderen. Ungefähr ein Dutzend Pappkartons stapelten sich vor dem Tresen, und auf der Theke lagen etliche Bilde