Hätte ich in diesen ersten Tagen morgens nicht allein am Tisch gesessen, hätte ich die Frau ganz hinten in der Ecke des Wirtshauses gar nicht bemerkt. Im Nachhinein verfälscht man die Eindrücke ja gern, sagt Dinge wie «man sah ihr an, dass sie hier fremd war» oder «sie schien ein Geheimnis mit sich herumzutragen», obwohl man zu dem Zeitpunkt viel zu sehr mit dem Menschen beschäftigt war, der einem beim Frühstück gegenübersaß, um die Einsamen zu bemerken.
Die Pension befand sich in einem Haus, dessen Putz längst bröckelte. Früher hatte «Gasthaus» an der Fassade gestanden, inzwischen waren die Buchstaben nur noch zu erahnen. Ein Geruch nach kaltem Rauch hing in den Gardinen und den abgewetzten Polstern. Die anderen Gäste waren vor allem einheimische Männer in verwaschener Kleidung, die hier morgens ihren Kaffee tranken und sich alle zu kennen schienen.
Die Frau in der Ecke passte einfach nicht hierher. Ihre Kostümjacke wirkte viel zu teuer an so einem Ort, und ihre blankgeputzten Schuhe gehörten eher in eine Bankfiliale als in diese kleine Stadt, deren einzige Touristenattraktion die Wanderwege in der Umgebung waren. An der Wand hinter ihr hing der Kopf eines toten Rehbocks.
Immobilien, dachte ich. Bestimmt war sie unterwegs, um ein paar der baufälligen Häuser aufzukaufen, die es hier im Ort überall gab, verlassen, mit zerbrochenen Fensterscheiben, Bäumen, die durch die Balkone wuchsen und sich in die einstmals so schönen Salons drängten.
Am dritten Tag begegneten wir uns an der Tür, und ich grüßte sie auf Englisch. Nahm einen britischen Akzent wahr, als sie mir antwortete, und fragte, ob sie in dem Wirtshaus wohne. Anschließend herrschte Schweigen, sodass ich viel zu viel redete, als wären die Pausen nur dazu da, um von mir gefüllt zu werden.
Dass ich ein Haus gekauft hätte oder eher gesagt ein Weingut, dass wir aber gerade erst eingezogen seien und noch kein Internet hätten. Und dass am Stadtrand, auf der anderen Seite des Flusses und im Schatten der Berge, der Empfang nicht so gut sei.
Deshalb würde ich jeden Morgen in die Stadt kommen, um zu frühstücken und bei der Gelegenheit Kontakt zur Umwelt aufzunehmen.
Sie hörte zu, ohne mich direkt anzusehen. Ich ergänzte, dass ich auch immer noch an der Bäckerei vorbeigehen und frisch gebackenes Brot kaufen würde, um es meinem Mann mitzubringen, damit sie nicht dachte, ich wäre einsam und verzweifelt auf der Suche nach jemandem, mit dem ich reden könnte.
«Er ist sehr beschäftigt mit den Renovierungsarbeiten, es ist viel zu tun, ja, Sie haben bestimmt gesehen, wie die Häuser hier in der Stadt teilweise aussehen …»
Die Frau schaute auf die Straße mit ihren heruntergekommenen Fassaden und Ziegeldächern hinaus, auf die kleine Kirche, die eingeklemmt hinter einem Kuhstall stand.
«Stadt?», sagte sie. «Würden Sie das wirklich als Stadt bezeichnen?»
Das anhaltende Unbehagen darüber, zu viel geredet zu haben, und der verachtungsvolle Ton in ihrer Stimme verflogen erst, als ich am bröckelnden Straßenrand entlang zurückging.
Selbst wenn ich bis an mein Lebensende hierbliebe, würde mir dieser Weg, der kurz vorm Fluss in die Landstraße überging, niemals langweilig werden. Er führte an einem schlossähnlichen Haus mit rissigen Säulen vorbei, das bis zum Dach von wildem Wein bewachsen war und auf dessen Mauer ein paar streunende Katzen lungerten. An der Brücke über den stetig dahinströmenden Fluss stand eine ehemalige Brauerei mit kaputten Fenstern, aus der es nach wie vor nach Hopfen und Malz roch, und dann die Klatschmohnfelder. In wallendem Rot breiteten sie sich am Ufer entlang bis zu den Bergen aus, hemmungslos, sinnlich, das sind die Worte, die mir dabei einfallen. Ich hatte solche Klatschmohnfelder seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen, als wir ein paar Sommer in einem Häuschen in Österlen verbrachten. Als ich später im Erwachsenenalt