Prolog
»Der Junge wird in vier Stunden sterben.«
Die Worte waren kaum zu hören. Zu laut war das Röhren des tieffliegenden Helikopters, der über den dunkler werdenden Himmel schoss, bevor er in den Wolken verschwand. Als er über die Baumwipfel donnerte, die die Lichtung umgaben, wirbelte er einen eisigen Lufthauch auf. Der füllige Mann warf die Zigarre zu Boden und trat sie verärgert aus.
»Sheriff Cahill«, bellte das Funkgerät im Streifenwagen. Er drehte sich um und starrte geradeaus, das kantige Gesicht im eisigen Winterwind verkniffen. Durchs Autofenster griff er nach dem Mikro. »Hier Cahill.«
Die Stimme am anderen Ende klang vorsichtig. »Sheriff, Freiwillige, die den Wanderpfad absuchen, haben kein Lebenszeichen von dem Jungen entdeckt. Und die Nationalgarde ist bis zum Cedar-Pass ausgeschwärmt, aber sie haben auch nichts gefunden.«
Cahill verzog das Gesicht. »Hören Sie«, grummelte er. »Wir haben vier Stunden, bis es dunkel wird. Wenn wir den Jungen bis dahin nicht gefunden haben, wird er erfrieren. Der Wetterbericht sagt, dass heftige Schneefälle aufziehen. Wie viele Vögel haben wir in der Luft?«
»Sechs.« Das Rauschen in der Leitung wurde lauter. »Aber es ist schwer, durch die Bäume etwas zu erkennen, die Wolkendecke ist zu dicht und nimmt uns das Licht.«
Cahill fluchte und lehnte sich gegen den Wagen, der sich durch sein Gewicht leicht zur Seite neigte. »Alle sollen in Bewegung bleiben«, sage er. »Wir hören nicht auf, auch nicht, wenn es dunkel wird. Und wenn uns kalt wird, dann denken Sie mal dran, wie sich ein vierjähriger Junge da draußen fühlt.«
Ein schwarzer Pick-up-Truck hielt neben ihm und Cahill warf das Mikro des Funkgeräts auf den Sitz. Er drehte sich um, als das Geräusch der Kiesel verstummt war, die unter den Reifen knirschten, und schaute überrascht, als ein Mann, gefolgt von einem großen, schwarzen Wolf, aus dem Auto stieg. Der Mann umrundete die Front des Wagens und sah Cahill an.
»Was gibt’s, Frank?«, fragte er.
Der riesige Wolf drehte den mächtigen Kopf in Richtung Waldrand.
Cahill war offenbar verblüfft und brauchte einen Moment, um zu antworten. »Verdammt, Hunter, ich dachte, du wärst mal wieder in der Weltgeschichte unterwegs.«
»Ich bin vor ein paar Stunden zurückgekommen.« Hunter bückte sich, um die hohen Mokassins neu zu schnüren, die er über ausgebleichten Jeans trug. Sein Hemd war aus braunem, abgetragenem Leder. »Sag mir, was du für mich hast, Frank.«
Cahill ging einen Schritt auf ihn zu, hatte sich offenbar wieder gefangen. »Also, Hunter, wir haben einen vierjährigen Jungen, der sich irgendwo da draußen verlaufen hat, und der so gut wie tot ist, sobald es dunkel wird, wenn wir ihn nicht bis dahin finden. Ich hab ein paar Deputys, dreihundert Freiwillige und tausend Mann von der Nationalgarde da draußen auf dem nördlichen Bergkamm. Wir haben Hunde auf die Spur angesetzt und sechs Vögel in der Luft. Aber wir finden keine Spur von ihm. Der Junge ist wie vom Erdboden verschluckt.«
Hunter bewegte sich zielstrebig und mit fast beängstigender Geschwindigkeit, als er ein tragbares Funkgerät aus Cahills Streifenwagen schnappte und rasch an den Gürtel schnallte. Seine Stimme war kalt: »Wo wurde der Junge zuletzt gesehen?«
»Dort.« Cahill streckte den kräftigen Arm aus. Er klang nervös. »In der Nähe des Gipfels. Er war nur eine Minute unbeobachtet, und die Eltern sagen, er ist einfach zwischen den Bäumen verschwunden.«
»Was hatte er an?« Hunter steckte Nahrung und ein Notfallset in eine Ledertasche, die er über der Schulter hängen hatte. Eine Feldflasche trug er in einem Lederetui am Gürtel.
»Ein rotes Hemd, blaue Jacke, alte Jeans und Tennisschuhe«, antwortete Cahill. »Für den Tag war er warm genug angezogen, aber er wird die Nacht nicht durchhalten.«
Hunter warf sich einen Mantel über die Schultern. Dieser war aus Leder gefertigt und merkwürdig geschnitten, reichte ihm halb über die Oberschenkel. Zwei Kapuzen, die über die Schultern fielen, sahen aus, als sei eine dafür gedacht, den Kopf vor dem Wind zu schützen, während die andere den Regen vom Rücken abhielt. Cahill, der sich schon immer darüber gewundert hatte, wusste, dass Hunter ihn selbst gemacht hatte.
»Waren schon die Hunde an der Spur dran?«, fragte Hunter.
»Ja, Hunde. Freiwillige. Jeder, der verdammt noch mal bei der Suche geholfen hat.«
»Sag ihnen, sie sollen bleiben, wo sie sind.« Hunter runzelte die Stirn, als er in den schnell dunkler werdenden Wald blickte. »Die Spuren sind schon genug versaut.«
Er sah den riesigen Wolf an.
»G