Kapitel 1
Im Jahre 2018 auf dem Friedhof von Greenberry in Ohio
Benjamin Cartwright stand einfach nur da, den Arm um die Schultern seiner Mutter gelegt.Warum regnet es bloß nicht, dachte er. Denn trotz des traurigen Anlasses schien die Sonne fröhlich vom Himmel und der grüne Rasen roch angenehm nach geschnittenem Gras und fruchtbarem Boden. Die Blätter an den Bäumen, die den Friedhof umrahmten, raschelten sanft in der leichten Brise.
Vielleicht war es doch passend, dachte er, denn sein Vater Barry war schon immer ein Naturfreund gewesen, von Kindesbeinen an. Dass er nun hier, scheinbar mitten im Wald, seine letzte Ruhestätte finden sollte, war eigentlich perfekt.
Seine Mutter schluchzte noch einmal und Ben drückte ihre schlanken Schultern an sich. Er spürte, wie sie zitterte, der zierliche Körper von Sorgen gebeutelt. Auch seine eigenen Augen wurden für einen Moment von Tränen verklärt und er musste mehrfach blinzeln, um wieder klare Sicht zu bekommen.
Es lag wohl daran, wie plötzlich und überraschend es gekommen war, dachte er sich. Sein Vater war erst 63 Jahre alt gewesen und hatte stark wie ein Bulle gewirkt. Dann hatte er sich ohne Vorwarnung während des Holzhackens an die Brust gefasst und die Lichter waren für ihn für immer ausgegangen.
Cynthia, seine Mutter, hatte ihn angerufen und ihm zuerst nur gesagt, dass sein Vater gestürzt war –schlimm gestürzt – mehr nicht. Doch er hatte direkt an ihrer Stimme gehört, dass es nicht um einen Sturz ging. Seine Eltern waren beide von der Sorte, die auch schwere Verletzungen beiseiteschoben, als wäre nichts gewesen. Selbst ein gebrochenes Handgelenk wurde alseine kleine Schramme bezeichnet. Deswegen hatte die Formulierung einesschlimmen Sturzes sofort sämtliche Alarmglocken bei Ben läuten lassen.
Ihre Stimme war dann ganz leise geworden. »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, hatte sie gesagt.
In diesem Moment war Ben bereits krank vor Angst, doch er schluckte sie hinunter. Er versuchte ruhig zu bleiben und sagte ihr, sie solle die Polizei oder einen Krankenwagen rufen. Oder vielleicht einen Nachbarn. Und er würde sich sofort auf den Weg machen. Er lebte in der Stadt Boulder in Colorado und ein Flug würde über zwei Stunden dauern. Dazu kamen natürlich noch viele Stunden Fahrt, um von einem Punkt zum anderen zu kommen.
»Du musst ihn warm halten. Und Mama … versuche ruhig zu bleiben, okay? Ich werde bald da sein.« Er hatte sich seine Armbanduhr geschnappt, einmal tief durchgeatmet und war dann in sein Zimmer gerannt, um ein paar Sachen zu packen, die er in einen Rucksack stopfte. Er griff sich seine Geldbörse und das Handy und rannte zur Tür, wobei er in Gedanken betete, dass er sofort einen Flug bekommen würde.
Er rief alle und jeden an, die ihm einfielen. Er alarmierte den Notarzt sowie Hank, den Nachbarn. Seine Mutter hatte desorientiert geklungen und gesagt, dass Barry immer noch schlief und dass sie ihm seinen Mantel um die Schultern gelegt hatte, um ihn warm zu halten.
Nach den längsten fünf Stunden seines Lebens war er endlich da.
Als er ankam, fand er zu seiner Erleichterung heraus, dass der Notarzt gekommen und wieder gegangen war. Aber Hank hatte ihm die Hände auf die Schultern gelegt: »Sorry, Ben.« Mehr hatte er nicht herausgebracht.
Benjamin hatte sich darauf vorbereitet, hatte versucht, sich abzuhärten, dennoch traf es ihn wie ein Schlag in die Magengrube.
Betrübt trottete er auf das Haus zu, wo der Polizeichef, den er von früher noch kannte, auf der Veranda stand. Er salutierte vor Ben und schüttelte ihm dann die Hand.
»Mein Beileid, Ben. Dein Vater war ein persönlicher Freund. Er war ein guter Mensch.« Für einen Moment mahlten seine Kiefer, dann fuhr er fort: »Er hatte einen schlimmen Herzinfarkt. Wahrscheinlich hat er nichts gespürt.«
Ben nickte. »Und Mama? Ich meine, Cynthia?«
»Sie ist drinnen. Sie ist … in Ordnung. Sie wollte auf dich warten.«
Ben schritt an ihm vorbei und betrat das Haus. Er fand s