: Monika Maron
: Artur Lanz
: Hoffmann und Campe Verlag
: 9783455012712
: 1
: CHF 9.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wann ist ein Mann ein Held? Artur Lanz, nach dem berühmten Helden der Artus-Sagen benannt, ist alles andere als ein Held. Seine kühne Rettung seines Hundes jedoch lässt Artur die Erfüllung und Beglückung der Opferbereitschaft erkennen. Während er nun von der Frage nach dem Ursprung des Glücks getrieben ist, lernt er Charlotte Winter kennen. Artur erzählt ihr von seinem Scheitern sowie der Suche nach Erfüllung, Bewährung und letztlich Glück. Und dann wartet plötzlich die nächste Bewährungsprobe auf Artur: Nach einer streitbaren politischen Äußerung eines Freundes steht er plötzlich im Zentrum von dringenden Fragen: Was darf gesagt werden und was nicht? Und: Was macht einen Helden aus? 

Monika Maron, geboren 1941 in Berlin, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der Gegenwart. Sie wuchs in der DDR auf, übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik nach Hamburg und lebt seit 1993 wieder in Berlin. Sie veröffentliche zahlreiche Romane und mehrere Essaybände. Ausgezeichnet wurde sie mit diversen Preisen, darunter der Kleistpreis (1992), der Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg (2003), der Deutsche Nationalpreis (2009), der Lessing-Preis des Freistaats Sachsen (2011) und der Ida-Dehmel-Literaturpreis (2017). Bei Hoffmann und Campe erschienen zuletzt die Erzählung Bonnie Propeller (2020) und der Essayband Was ist eigentlich los? (2021).

In der Woche darauf begann ich tatsächlich, mich mit dem Kindheitstrauma meines neuen Freundes zu beschäftigen. Ich besorgte mir allerlei Literatur, darunter das Buch über die Artusrunde einer preisgekrönten Jugendbuchautorin, von dem ich mir einen verständlichen und trotzdem seriösen Überblick versprach, außerdem ein paar Abhandlungen über den Helden im Allgemeinen und das Postheroische in unserer Zeit, das sich mir in der zerrissenen Seele von Artur Lanz zu offenbaren schien. Und natürlich hatte ich meine Hoffnung, dabei einen lohnenden Stoff für eine Erzählung, vielleicht sogar einen Roman zu finden, nicht aufgegeben, wobei mich die schamlose Ausbeutung fremder Biographien zwar immer noch genierte, aber nicht davon abhielt, mich wie ein Vampir in ihnen festzubeißen. Und in Herrn Lanz glaubte ich ein lohnendes Opfer gefunden zu haben.

 

Am Sonnabend war ich bei Bergmanns eingeladen, eine kleine Runde, Adam hatte gekocht, geschmorten Ochsenschwanz und eine Himbeertarte zum Dessert. Adam hatte ich Anfang der neunziger Jahre in der Evangelischen Akademie Tutzing bei einer Tagung über die Rezeption der Weimarer Klassik in derDDR kennengelernt. Wir waren uns darin einig, dass die sozialistische Verehrung der Klassik vor allem der Ablehnung der Moderne entsprungen war. Ich erklärte Adam, dass das größte Problem in der Unbildung der regierenden Arbeiter und Bauern bestand. Sie hatten Angst vor Kafka, weil sie ihn nicht verstanden oder befürchteten, ihn nicht zu verstehen. Schiller und Goethe zu verehren, brauchte keinen Mut, ob man sie verstand oder nicht. Wir waren einander sympathisch und wohnten beide in Berlin. Kurz darauf lud Adam mich zu einer größeren Runde ein, zu der damals schon die Zeisigs und die Müller-Hermsdorfs gehörten. Damals glaubte ich, Adam führe mich der Runde als seine ostdeutsche Trophäe vor. Vielleicht war es auch so, aber mit den Jahren wurden wir Freunde, und unsere verschiedenen Jugenderfahrungen waren oft ähnlicher, als wir angenommen hatten.

Adam bewohnte eine Wilmersdorfer Siebenzimmerwohnung, in der er schon mit seiner ersten Frau gewohnt hatte und in der wir nun in dem Berliner Zimmer, einem großen Durchgangszimmer, das den vorderen, repräsentativen Teil der Wohnung vom Küchen- und Wirtschaftstrakt trennte, um den runden Esstisch herum saßen.

Das Ehepaar Müller-Hermsdorf, er ein ehemaliger, inzwischen auch emeritierter Kollege von Adam, seine Frau Psychologin, Wolf und Ulrike Zeisig, beide Künstler, Penelope Niemann, ehemalige Hamburger Kultursenatorin, und Eva, Adams zweite Frau, die zwanzig Jahre jünger war als er und eigentlich Gudrun hieß, von ihm aber in der Zeit ihrer ersten Verliebtheit, die erst fünfzehn Jahre zurücklag, in Eva umgetauft worden war. Als sie sich kennenlernten, war Eva Pressereferentin irgendeiner Berliner Kulturbehörde, seit Adams Pensionierung arbeitete sie nicht mehr, sondern reiste mit ihm zu Vorträgen und Kongressen rund um die Welt.

Es war mir ein Rätsel, wie Adam die Auswahl seiner Gäste traf. Fast immer, wenn er mich einlud, fand ich mich in einer Gesellschaft, der ich lieber ferngeblieben wäre. Entweder entledigte er sich so einiger unliebsamer Verpflichtungen, zu denen auch ich gehörte. Oder er lud mich in diese triste Runde, weil er hoffte, dass ich, wenn ich mich hinreichend gelangweilt hätte, irgendeinen Streit provozieren würde, der durch die An