Es wird oft gesagt, dass wir in einer postfaktischen Welt leben, in der wir unsere Glaubensüberzeugungen frei zusammenstellen können. Wir beschließen, was wir gerne für wahr halten würden, und dann leben wir so, als wäre es wahr. Dabei hoffen wir, dass niemand daherkommt und uns schwierige Fragen zu den Gründen unserer Glaubensüberzeugungen stellt. Religiöse Menschen werden häufig der „Wunscherfüllung“ beschuldigt, ein Begriff, der im frühen 20. Jahrhundert vom atheistischen Psychoanalytiker Sigmund Freud geprägt wurde. Gemeint ist damit ein gefühltes Bedürfnis, sich mit dem Glauben an einen Gott zu trösten, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Allerdings kann auch der Atheismus als eine Form der Wunscherfüllung gesehen werden. Schauen wir uns einmal ein Beispiel an.
Der Philosoph Thomas Nagel stellte klar, dass sein Atheismus hauptsächlich seiner Abneigung gegen die Vorstellung eines Gottes entsprang:
Es ist nicht nur so, dass ich nicht an Gott glaube und natürlich hoffe, dass ich mit meinem Glauben richtigliege. Vielmehr hoffe ich, dass es keinen Gott gibt! Ich will nicht, dass es einen Gott gibt; ich will nicht in einem derartigen Universum leben.1
Man kann Nagel leicht dafür kritisieren, dass er seine angeblich objektive philosophische Analyse von seiner persönlichen Abneigung gegenüber Gott oder seinem Wunschuniversum beeinflussen lässt, doch es gibt zahllose Menschen, die sich ihre Glaubensüberzeugungen je nach Geschmack zusammenstellen und erst im Nachhinein Begründungen dafür anbieten, in der Hoffnung, doch noch ihre intellektuelle Integrität zu bewahren. Weder Richard Dawkins noch C. S. Lewis wollen etwas mit einer solchen Denkweise zu tun haben. Beide bestehen darauf, dass wir unser Leben auf etwas Wahrem und Realem gründen, nicht bloß auf einer persönlichen Wohlfühlwelt.
Der Philosoph Bertrand Russell bemerkte einmal, dass sich „in der modernen Welt die Dummen todsicher sind, während die Intelligenten voller Zweifel sind“.2 Zu diesem Zeitpunkt fand in Deutschland gerade der Aufstieg des Nationalsozialismus statt, und Russell, ein Atheist, war zutiefst besorgt über Menschen, die mit allzu simpler und einschüchternder Rhetorik die angeblich offensichtliche Wahrheit ihrer eigenen Positionen geltend machten und andere als verblendete Narren oder Scharlatane hinstellten. Für einige ist Einfachheit ein Zeichen von Wahrheit; für Russell konnte es auch ein Zeichen dafür sein, dass jemand den Grenzen des menschlichen Wissens und der Komplexität unserer Welt nicht ins Gesicht blicken will.
Wie können wir denn nun zeigen, dass unsere Glaubensüberzeugungen Sinn ergeben? Können wir sie beweisen? Oder was wäre das Nächstbeste, wenn wir sie schon nicht beweisen können? Das sind wichtige Fragen. So ziemlich alle von uns halten an bestimmten Glaubensüberzeugungen fest, seien sie religiöser, ethischer oder politischer Art. Gibt es einen Gott? Was macht ein gutes Leben aus? Niemand kann auf diese Fragen eine felsenfeste Antwort liefern, aber wir können trotzdem gute Gründe für unsere Überzeugungen haben. Dieser Punkt steckt hinter Russells berühmtem Ausspruch darüber, warum Menschen Philosophie studieren sollten: Sie lehrt uns, „wie man ohne Gewissheit lebt und doch, ohne von Bedenken gelähmt zu werden“.3