»Ich bin am Boden, doch nicht besiegt.«
(Alaska Saedelaere zugeschrieben, während er allein auf Terra wandelte)
1.
Uyari Lydspor,
Harmoniewächter
Ich schlich voran, und ich roch den Unharmonischen: Er dufteteschief und falsch.
Das barg große Gefahr in sich. Dieses fremde Element widerstrebte der Harmonie. Deshalb musste es beseitigt werden.
Doch ich vermochte meinen Widersacher nicht ausfindig zu machen. Er verbarg sich vor meinen Sinnen, obwohl diese extrem geschärft waren. Ein genau genommen unmögliches Ergebnis meiner Analysen.
Also atmete ich tief durch. Nur wenn ich Ruhe fand, würde ich den Fremden lokalisieren. Nur so konnte ich ihn beseitigen, denJyresca, den Unharmonischen, der das Verderben brachte. Allein seine Gegenwart bedeutete eine große Gefahr.
Doch um wen handelte es sich?
Er verbarg sich äußerst geschickt, das musste ich ihm lassen. Ihm haftete nicht der Duft der Harmonie an, jenes untrügliche Zeichen, das jeden von uns auszeichnete. Es ließ einen Escalianer erst zu dem werden, was er war.
Eigentlich hätte ich meinen Widersacher erkennen müssen. Schließlich war ich ein geübter Harmoniewächter.
Aber nein – obwohl er sich ganz in der Nähe aufhielt, tauchte er in der Masse unter. Er verbarg sich wie ein todbringendes Geschwür inmitten von pulsierendem Leben: eine Aura des Todes und der Vernichtung.
Und das ausgerechnet in der Harmonieschule! Als wolle der Jyresca jeden Harmonischen verhöhnen.
Wer war es?
Einer der Schüler? Das glaubte ich nicht. Es widersprach allen Erfahrungen, denn in solch jungen Jahren konnte kein Fremder eindringen und mich derart raffiniert täuschen.
Allerdings sprach die aktuelle Situation eben diesen Erfahrungen Hohn; ich müsste jeden Unharmonischen sofort riechen, lokalisieren und danach ausschalten können. In diesem Fall war es jedoch anders.
Oder handelte es sich um einen Erwachsenen? Es flanierten nicht nur Lehrer auf dem Gelände der Schule; auch Besucher, Eltern, ältere Studenten. Es wimmelte geradezu auf diesem zentralen Platz im Campus.
Ich vermochte den fremden Feind dank desfalschen Geruchs ungefähr zu lokalisieren; zumindest die Richtung, in der ich suchen musste. Ein Blick auf mein Ortungsgerät offenbarte allerdings, dass sich im kritischen Bereich zwischen den Lehrgebäuden der Harmonieschule momentan 89 Personen befanden.
89 Verdächtige.
Zu viele, um sie alle festzuhalten, sie nacheinander zu vernehmen und ihnendie Maske vom Antlitz zu reißen. Also ging ich mitten durch die Menge und nahm jeden Einzelnen durch die Augenschlitze meiner Maske ins Visier.
Selbstverständlich verbargen sie alle ihre Gesichter, genau wie ich. Das änderte jedoch nichts daran, dass ich ihre Gefühle sehen und ihr Verhalten deuten konnte. All meine Erfahrung lehrte mich, sie binnen Sekunden auszusieben.
Die meisten fielen durch das Raster.
Fast alle hatten es eilig: die Arme angespannt, hastige Schritte, kleine und ruckartige Kopfbewegungen. Sie drängten sich inmitten der Menge zu ihren nächsten Unterrichtseinheiten. Oder sie wollten in einer knapp bemessenen Pause etwas essen.
Einige zeigten mir mit ihrer Körperspannung auch, dass sie nach einer Gelegenheit suchten, mit ihren Partnern Intimitäten auszutauschen.
Harmoniewächter mit weniger Erfahrung hätten dieses Verhalten vielleicht mit Unruhe oder Angst vor Entdeckung verwechselt und die Schüler bereits deshalb verdächtigt. Ein solcher Fehler unterlief mir nicht – ich war kein Anfänger, bereits seit vielen Jahren nicht mehr.
Mein Leben bestand darin, das Fremde zu erkennen und auszumerzen. Wenn ich aufwachte, war es mein erster Gedanke, wenn ich einschlief, mein letzter.
Also suchte ich konzentriert weiter nach der unharmonischen Aura, nach dem fehlenden Element der Harmonie. Nach dem, was ein Loch inunsere Existenz schlagen wollte und uns bedrohte.
Mit der Zungenspitze drückte ich auf den kleinen Spender an der Innenseite der Maske. Ein kurzer Sprühstoß, ein tiefes Einatmen, und das Onezinar erfrischte mich. Ich inhalierte tief und atmete langsam aus: ein durchdringendes Wohlbehagen, ein Schärfen aller Sinne.
Das Mädchen mit den dünnen roten Haaren, deren Spitzen sich wellten und in denen sich Assun-Symbionten schlängelten, beachtete ich nicht. Es war harmlos, zumindest in meinen Augen. Sämtlichen Schülern ihres Jahrgangs mochte sie den Verstand rauben, sie mochten davon träumen, einmal einen Symbionten mit ihr zu tauschen.
Sie stand genau im Schatten des hohen Lehrturms, auf dessen Krone die Kristalle in der Sonne blitzten. Als ich sie anschaute, fiel das Licht so unglücklich seitlich in mein Auge, dass es mich zum Niesen reizte. Mein Kehlsack blähte sich unkontrolliert, und die Warzenhaut im Gesicht spannte.
Mein Blick glitt weiter, und ich blendete all die allzu offensichtlichen Details meiner Umgebung aus, die mich ablenken wollten: Zeichnungen auf Boden und Wänden, Satzfetzen, bedeutungslose Empfindungen wie ein Windstoß, das Stolpern eines Lehrers, das automatische Zurechtrücken der Maske ...
Nur das eigentliche Ziel zählte.
Und dann sah ich ihn.
Im Schatten des kleinsten Gebäudes, das die Speiseräume beherbergte, stand ein Junge. Kein Kandran wie ich, sondern ein Humanoide, schätzungsweise zwischen zwölf und vierzehn Jahren alt.
Er lehnte mit dem Rücken an einer der geschlungenen Säulen, di