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Arin
Es heißt, wer hoch fliegt, fällt länger.
Und ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie es ist, nicht zu fallen.
Ich werde oft gefragt, wie es anfing. Was der Grund dafür war, dass ich mein Leben gegen die nächste Pille eingetauscht habe. Es gibt so viele tragische Geschichten über Liebe und Verlust. Über dunkle Schatten, die einen immer wieder einholen, und Herzen, die im Ozean des Lebens ertrunken sind. Ich habe keine solche Geschichte – ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort mit der falschen Familie und den falschen Freunden. Und zu willensschwach. Von Grund auf verdorben, wie meine Mutter zu sagen pflegt. Mein Weg war lange vorherbestimmt, ehe ich auch nur die Chance hatte, es zu begreifen. Und dann kamen die Pillen.
Es fing harmlos an. Schleichend. Ich hatte mich im Griff. Ich hatte die Medikamente im Griff. Zumindest so lange, bis sie mich im Griff hatten. Bis jeder Atemzug sinnlos war, wenn ich nicht high sein konnte.
Der Absturz hat mich gerammt wie ein Truck, im wörtlichen Sinne. Er war erbarmungslos und brutal, genau wie der folgende kalte Entzug. Ich will nicht lügen, damals dachte ich, mein Leben wäre vorbei. Nichts ergab mehr Sinn, nichts war so gut wie auf Drogen. Der erste Rückfall war naiv, der zweite fast tödlich.
Aber ich will das nicht mehr.
Kein Drama. Keine Höhen. Keine Tiefen.
Ich will einfach nur versuchen, ein besserer Mensch zu werden. Was nicht gerade schwer werden dürfte, wenn man bedenkt, was für ein unfassbares Arschloch ich auf Drogen war. Aber ich suche auch nicht nach Vergebung, denn die werde ich in dieser Stadt ohnehin nie bekommen. Alles, was ich will, ist Ruhe.
Schon während ich an diesem ersten schönen Frühlingstag auf das Haus der Kirchengemeinde zugehe, in dem das Treffen stattfinden soll, möchte ich am liebsten wieder umdrehen.
Alles in mir sträubt sich, während ich eintrete.
Im Inneren des Gebäudes ist bereits der Stuhlkreis aufgestellt. Der Geruch von Kaffee und Plätzchen liegt in der Luft. Caroline winkt mir lächelnd zu und schenkt sich ein, ehe sie das kleine Büfett aus Knabberkram und Donuts zufrieden betrachtet. Die Wochen, in denen sie für das Essen zuständig ist, sind mir am liebsten. Der alte Bennett setzt uns immer nur gekaufte Kekse vor, die schmecken, als hätte er sie seit Wochen in der Vorratskammer vergessen.
Jemand fragt, ob ich auch etwas möchte, aber ich lehne ab. Vor den Gruppentreffen bekomme ich selten etwas runter und bin noch weniger dazu in der Lage, mit den anderen zu tratschen. Vielleicht ändert sich das irgendwann, doch gerade ist es für mich schon ein Sieg, dass ich überhaupt aufgestanden und hergekommen bin.
Eigentlich wäre ich lieber wieder zu Hause in meinem Trailer und würde ignorieren, was ich bin und was ich war und wie verflucht tief ich in meinem Loch aus Selbstmitleid stecke.
Dabei folgt mir die flüsternde Stimme in meinem Kopf überallhin. Raunt immer wieder die Worte, die dafür sorgen, dass ich den Wunsch habe, eine Pille einzuwerfen.Junkie. Loser. Monster.
Mit einer Hand wische ich mir das dunkle Haar aus der Stirn und sehe mich um. Das gute Wetter ist sicher schuld daran, dass wir weniger sind als sonst, und das bedeutet auch, dass wir mehr Zeit für jeden Einzelnen haben. Ich spüre das unangenehme Prickeln auf meiner Haut und fühle mich fehl am Platz, was absurd ist, weil ich wahrscheinlich nirgendwohin so sehr gehöre wie hierher.
Die meisten Mitglieder kennen sich bereits, und da in dieser Stadt ohnehin niemand wirklich lange unbekannt bleibt, ist es unnötig, dass wir uns einander vorstellen. Stattdessen erhalte ich ein stilles Nicken von allen, an denen ich vorbeigehe.
Gesprächsfetzen der anderen dringen zu mir herüber. Der alte Bennett hat sich gerade einen der Neuen zur Brust genommen, der sich lautstark schnäuzt.
Jimmy.
Wir kennen uns besser, als gut für uns beide ist, denn Jimmy wohnt wie ich im Trailerpark. Und wie ich hat er die meiste Zeit s