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Polly ist zu groß geworden für den Hort.
Ihre Arme und Beine quellen über die Seiten ihres kleinen rosa Bettchens, wenn sie schläft, und liegen auf dem kalten Boden wie weiche Schlangen, die sich um einen Baumstamm ringeln. Ihre Bettdecke verhüllt nur ein Viertel ihres mächtigen Körpers und das Kissen ist gerade groß genug für eine Hälfte ihrer Wange.
Wenn Polly im Spielzimmer steht, muss sie den Kopf einziehen, weil sie sonst gegen die Decke stößt. Wenn sie in der Teestube am Tisch sitzt, kann sie kaum ihren Hintern in die winzigen Holzstühlchen quetschen, ohne sie in Stücke zu brechen. Es ist zum Verrücktwerden.
»Warum schrumpft nur alles?«, fragt Polly Nanny Warburough, die gerade versucht, die Rückseite ihres Kleides zu schließen.
Alle ihre Kleider haben ihr früher bis zu den Knöcheln gereicht, aber jetzt bedecken sie nicht einmal mehr ihre Knie.
»Nichts schrumpft«, sagt die Nanny und befestigt zusätzliche Schnüre am Kleid, um es zusammenzuhalten. »Es liegt nur daran, dass du wächst. Du wirst eine Frau.«
Polly betrachtet sich im Spiegel. Ihr gesamter Rücken liegt frei, man kann ihre blasse, leicht sommersprossige Haut sehen. Nur so passt sie überhaupt noch in die Kleider in Kindergröße.
»Das gefällt mir nicht«, sagt Polly. Das sagt sie in diesen Tagen immer. »Könnte ich doch neue Kleider bekommen …«
Als Polly sich eine Schleife ins Haar bindet, sticht sie sich ihr Handgelenk an einem der spitzen Knochen, die aus ihrem Kopf wachsen.
»Au!«, ruft sie und drückt mit dem Daumen auf das Handgelenk, um die Blutung zu stoppen. »Ich hasse diese blöden Dinger!«
Nanny Warburough wischt das Blut von der Spitze des Horns. »Du musst lernen, vorsichtiger zu sein. Dein Geweih wird im Laufe der Zeit noch größer werden.«
»Ich würde es am liebsten abreißen!«, schimpft Polly. Sie legt ihre Finger um die spitzen Knochen und zieht daran. »Ich sehe damit so dämlich aus.«
Die Nanny nimmt die Hand des Mädchens von seinem Geweih und rückt die Schleife zurecht. »Dein Geweih ist ein Symbol deiner Weiblichkeit. Du solltest stolz darauf sein. Je größer es ist, desto anziehender wird es auf einen zukünftigen Ehemann wirken.«
»Ich will keinen Mann. Ich hasse Jungs. So wie Zecke. Er ist so nervig.«
»Ich rede nicht von Jungen wie deinem kleinen Bruder.« Die Nanny bemüht sich, Pollys leuchtend grünes Haar zu zwei Pferdeschwänzen zu binden. »Ich rede von erwachsenen Männern. Eines Tages wirst du den Hort verlassen. Dort draußen wird es mehr Männer geben, als du zählen kannst, und du wirst besonders hübsch für sie sein wollen. Du wirst wollen, dass dein Geweih groß und majestätisch ist.«
Polly grinst ihr Spiegelbild nur höhnisch an. Schon ihr ganzes Leben lang erzählt die Nanny, dass sie eines Tages den Hort verlassen wird, aber dieser Tag scheint nie zu kommen. Polly ist jetzt praktisch schon eine erwachsene Frau und immer noch hier. Eigentlich müsste sie schon seit Ewigkeiten