: Ursula Poznanski
: Die Verratenen (Eleria-Trilogie - Band 1)
: Loewe Verlag
: 9783732000135
: 4
: CHF 8.00
:
: Jugendbücher ab 12 Jahre
: German
: 464
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sie ist beliebt, privilegiert und talentiert. Sie ist Teil eines Systems, das sie schützt und versorgt. Und sie hat eine glänzende Zukunft vor sich - Rias Leben könnte nicht besser sein. Doch dann wendet sich das Blatt: Mit einem Mal sieht sich Ria einer ihr feindlich gesinnten Welt gegenüber und muss ums Überleben kämpfen. Es beginnt ein Versteckspiel und eine atemlose Flucht durch eine karge, verwaiste Landschaft. Verzweifelt sucht Ria nach einer Erklärung, warum ihre Existenz plötzlich in Trümmern liegt. Doch sie kann niemandem mehr vertrauen, sie ist ganz auf sich allein gestellt. Die Bestsellerautorin Ursula Poznanski, auch bekannt durch ihre Thriller für Erwachsene: 'Fünf' und 'Blinde Vögel', erschienen beim Wunderlich Verlag, legt mit diesem Jugendbuch-Thriller den ersten Band der Verratenen-Trilogie vor. Auszeichnungen und Nominierungen: - Kollektion zum Österreichischen Kinder-und Jugendbuchpreis 2013 - Nominierung für den Buchliebling 2013 - Nominierung für die Segeberger Feder 2013

Ursula Poznanski, geboren in Wien, studierte sich einmal quer durch das Angebot der dortigen Universität, bevor sie nach zehn Jahren die Hoffnung auf einen Abschluss begrub und sich als Medizinjournalistin dem Ernst des Lebens stellte. Nach der Geburt ihres Sohnes begann sie Kinderbücher zu schreiben. Ihr Jugendbuchdebüt Ereboserhielt zahlreiche Auszeichnungen (u. a. den Deutschen Jugendliteraturpreis) und machte die Autorin international bekannt. Sie lebt mit ihrer Familie im Süden von Wien.

1

Ich weiß, dass etwas Furchtbares passiert sein muss, als Tomma den Raum betritt. Sie weint nicht, sie schreit nicht, doch ich sehe es an ihrem Blick, der mich findet und sofort wieder von mir wegschnellt wie ein scharf geworfener Ball von einer Wand. Ich sehe es an ihren blassen Lippen, an der dunklen Haarsträhne, die ihr achtlos ins Gesicht hängt, vor allem aber an ihren Händen, die so fest verschränkt sind, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten.

Ich unterbreche meine Rede, sie war ohnehin nicht gut, und Grauko, mein einziger Zuhörer, schenkt mir keine Beachtung mehr. Er hat sich zur Tür gewandt. Sollte er aus Tommas Verhalten das Gleiche lesen wie ich, lässt er es sich nicht anmerken. Sein Ton ist gelassen wie immer.

»Ja?«

»Es gab… es war …«

Ich beobachte Tomma, wie sie nach Worten ringt, und fühle, dass meine Kehle sich verengt. Ist eine Kuppel eingestürzt? Gab es wieder Angriffe auf die Außenwachen?

»Die Expedition …«, stößt Tomma endlich hervor.»Sie sind tot. Alle drei.«

In mir wird auf einen Schlag alles kalt. Ich gehe in die Knie, bevor mir schwindelig werden kann. Mein Herzschlag dröhnt in meinen Ohren ebenso laut wie Tommas Worte.

Ihre Lippen zittern, in ihren Augen sammeln sich Tränen, und als sie weiterspricht, entgleitet ihr auch die Stimme.»Raman, Curvelli und Luria. EinÜberfall, gleich nachdem sie… ausgestiegen sind. Die Prims müssen es gewusst haben, sie haben auf der Lauer gelegen –«

»Tomma!« Grauko ist blass geworden und seine Ermahnung wegen des verpönten Ausdrucks Prims fällt weniger scharf aus als gewöhnlich. Er hat Curvelli und Lu unterrichtet, es muss ihn genauso treffen wie mich.

Tomma korrigiert sich nicht, wie sie, wie wir alle es normalerweise machen würden. Sie weint und ich möchte das Gleiche tun. Mein Atem geht zittrig und ich kann kaum schlucken.

Lu, denke ich und sehe ihr Gesicht vor mir, so lebendig wie vor drei Tagen, als wir gemeinsam die Pilze in den Zuchtgewölben untersucht haben. Sie hielt ihre Stablampe mit den Zähnen, während sie Proben nahm und in Glasröhrchen füllte.»Du wirst sehen«, sagte sie, als wir fertig waren,»von draußen bringe ich mehr davon mit. Sie sagen, es gibt wieder neue Spezies, weiter im Süden.«

Die Expedition sollte den Höhepunkt ihres letzten Ausbildungsjahres bedeuten. Nicht ihren Tod.

Tomma geht, die Konturen ihrer Silhouette verschwimmen, obwohl ich mit aller Kraft versuche, meine Tränen zu unterdrücken. Lu. Innerhalb eines Monats hatte sie sich in der Reihung drei Plätze vorgearbeitet und jetzt …

Ich weigere mich, es zu glauben. Es wäre nicht die erste Falschmeldung; vielleicht stellt die Nachricht sich schon heute Abend als Irrtum heraus.

»Ria? Ist alles in Ordnung?«

Ich reiße mich zusammen. Nur eine Träne findet den Weg bis zu meinem Kinn und ich wische sie fort, bevor sie zu Boden fallen kann. Grauko sieht mich mit schief gelegtem Kopf an, er schreibt innerlich mit, wie immer. Speichert jede meiner Reaktionen gedanklich ab.

»Es geht wieder.« Ich nicke ihm zu und will Tomma folgen, vielleicht weiß man in der Zentralkuppel schon mehr.

»Bleib bitte da, wir sind noch nicht fertig. Ich möchte, dass du eine weitere Rede hältst. Die, bei der du vorhin unterbrochen wurdest, war nicht besonders gut.« Er streichtüber seinen kurzen dunklen Kinnbart.»Noch einmal von vorne.«

Ich starre ihn an. Meint er das ernst? Jetzt?»Ich bin nicht in der richtigen Verfassung. Es sind Freunde von mir –«

»Deine Verfassung kannst du dir nicht aussuchen. Du musst in jeder Lage fähig sein, dich zu sammeln und die Menschen zuüberzeugen.« Sein Lächeln ist voller Verständnis und Schmerz.»Niemand hat gesagt, dass es leicht ist. Und weißt du was? Ich mache es jetzt noch schwerer für dich, ich gebe dir ein neues Thema. Es lautet: Den Clans und Stämmen zu helfen ist unsere Pflicht. Wer die Außenbewohner diskriminiert, hat den Sinn der Sphären nicht begriffen.«

Grauko ist mein Lieblingsmentor. Von niemandem lerne ich so viel, vor niemandem habe ich so viel Respekt. Doch im Moment würde ich ihn gern anbrüllen: Den Clans zu helfen ist unsere Pflicht? Sie töten unsere Forscher, zerstören unsere Arbeit,überfallen unsere Transporte, brechen den Frieden immer und immer wieder. Und wir? Schicken Hilfspakete.

Der Gedanke muss aus meinem Kopf, sonst kann ich Graukos Aufgabe nicht erfüllen. Lu muss aus meinem Kopf und das Bedürfnis, denen da draußen mit einem Stein den Schädel einzuschlagen, jedem Einzelnen. So, wie sie es wahrscheinlich bei Lu getan haben.

»Stell dir vor, du wärst in Sphäre Neu-Berlin 3. Dort ist es mit den Attacken wirklich schlimm, kein Vergleich zu hier, es gibt regelmäßig Tote auf beiden Seiten. Du sollst den Bewohnern klarmachen, dass Gewalt als Antwort nicht infrage kommt. Du vertrittst die Position des Sphärenbundes.«

Die Trauer um Lu nistet sich in meinem Körper ein, sie gräbt Höhlen in meinen Magen und in meine Brust. Ich bin sicher, sie zeichnet ihre Spuren auch in mein Gesicht, obwohl dort nicht mehr zu sehen sein darf als verständnisvolle Bekümmertheit. Würde.

Ich denke an eine weiße Wand. Atme durch.

»Wir sind privilegiert«, beginne ich. Meine Schultern sind gerade, meine Stimme fest. Ich erlaube einem kaum merkbaren Lächeln, sich auf meine Lippen zu stehlen. Jetzt müsste ich zuversichtlich wirken.»Unsere Ernten waren gut in diesem Jahr und es ist uns gelungen, zwei neue Sphären zu errichten und zu besiedeln. Wir sind gegen Sturm, Kälte und Tiere geschützt, wir verfügenüber Medikamente, moderne Technik und sauberes Wasser. Mit jedem Tag, der vergeht, macht die Wissenschaft unser Leben leichter.« Ich lasse meinen Blick von links nach rechts schweifen, als wäre der Raum voller Menschen.»Ich weiß, dass die meisten von uns der Ansicht sind, all das verdient zu haben. Damit habt ihr recht, zumindest zum Teil. Unsere Vorfahren haben die Sphären aufgebaut. Sie haben