: Roland Weis
: Die neue Welt
: Lindemanns
: 9783963081453
: 2
: CHF 13.50
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 770
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Jahr 1492, Palos, Andalusien: Der 13-jährige Rodrigo ersticht im Streit seinen Stiefvater. Er flieht auf die Santa Maria, das Flaggschiff jener Flotte, die von Palos aus gerade zu großer Entdeckungsfahrt ausläuft. Im Oktober erreicht Christoph Kolumbus die Karibik. Am Weihnachtstag erleidet er vor Hispanola, dem heutigen Haiti, Schiffbruch. Der Admiral lässt 40 Mann in der Neuen Welt zurück. Unter den Siedlern von 'La Navidad' ist auch Rodrigo. Das anfängliche Paradies ist für die spanischen Eroberer nur von kurzer Dauer. Roland Weis verwebt die Geschichte des Schweinehirten Rodrigo mit der seiner Geschwister: von Miguel, den es als Missionar ebenfalls in die neuentdeckten Länder zieht; von Pedro, der sich aus einer Kinderbande in die Bankhäuser von Sevilla hocharbeitet, von wo aus die Eroberungszüge finanziert werden; und von Consuela, die zu den ersten Frauen gehört, die nach Westindien einschiffen. Unter ihnen auch Isabella, die verwöhnte Kapitäns­tochter. Rodrigos Angebetete aber verliebt sich in den jungen Abenteurer Pablo, einen Rivalen Rodrigos. Eingebunden in historische Ereignisse, die mit ihren authentischen Protagonisten detailgenau nachgezeichnet werden, entsteht ein großartiges Panorama der süd- und mittelamerikanischen Entdeckungs- und Eroberungsgeschichte.

Dr. Roland Weis, Jahrgang 1958, lebt und arbeitet in Südbaden. Der gelernte Zeitungsredakteur hat mehr als 20 Jahre bei Tageszeitungen, Radiostationen und Wochenzeitungen gearbeitet, ehe er 2002 in die Unternehmenskommunikation eines Energieversorgers wechselte, die er heute leitet. Der promovierte Historiker hat neben zahlreichen Beiträgen in historischen Fachzeitschriften und Nachschlagewerken inzwischen mehr als 20 Bücher veröffentlicht, darunter regionalgeschichtliche Untersuchungen, populärwissenschaftliche Sachbücher, Wander- und Urlaubsführer aus dem Schwarzwald, Krimis und historische Romane. Das Romanprojekt 'Die Neue Welt' ist auf insgesamt fünf Bände angelegt. Anhand der Lebensgeschichte des Rodrigo Sanchez wird dabei die Entdeckungs- und Eroberungsgeschichte Süd- und Mittelamerikas nachgezeichnet. Von der Entdeckung Amerikas 1492 bis zur ersten Befahrung des Amazonas im Jahr 1541.

I. Palos (1492)

Am Rande der Hafenstadt Palos klebte eine traurige Ansammlung armseliger Lehm- und Bretterhütten an einem unfruchtbaren Hang. Wenige Pinien krallten sich an die Erde. Disteln und verdorrtes Gras kämpften zwischen den Behausungen ums Überleben. Hier wohnte der Hirte Rodrigo Sanchez de Palos. Er war 13 Jahre alt. Dass er dieses Alter erreicht hatte, darf man als mittleres Wunder bezeichnen. Seine Mutter hatte bereits versucht, ihn umzubringen, als er noch unschuldig im Mutterleib heranwuchs. Vergebens führte sie sich Gifte aller Art zu und auf allen denkbaren Wegen ein. Der Balg wollte nicht abgehen. So wuchs und gedieh Rodrigo im Mutterleib, obwohl er in dieser Welt nicht willkommen war. Weder der Lebenswandel der Mutter noch die Prügel, welche sie in dieser Zeit bezog, konnten dem Fötus etwas anhaben. Nach der Geburt ließ sie ihn an Ort und Stelle hinter einer Lehmhütte zurück. Ihm den Hals umzudrehen, wagte sie nicht, aber sie vertraute der Sonne – und den Krähen. Doch die feuchte Kuhle, in der das kleine nackte Wesen liegenblieb, erwies sich als guter Platz zum Überleben, weil ihn eine kleine Steinmauer umfriedete, die Schweine und Hunde abhielt. Als der Säugling nach drei Tagen immer noch schrie, trug ihn jemand in jene Spelunke Namens „La Tortuga“, die Schildkröte, in der die Mutter inzwischen schon wieder ihrem Gewerbe nachging. Notgedrungen nahm sie ihn mit in ihre Hütte. Hätte er Arbeit gemacht, wäre er zur Last gefallen, wäre er krank oder ein Schreihals gewesen, dann hätte er keine Überlebenschance gehabt. Aber er war genügsam, hungerte klaglos, wenn er tagelang nicht gefüttert wurde, und verschlang dazwischen alles, was man ihm in den Mund schob. Als Säugling lag er stumm und still. Als Kleinkind versteckte er sich und machte sich so unsichtbar wie möglich. Bereits im Alter von fünf Jahren trug er als Ziegen- und Schweinehirte zum kargen Einkommen bei. Er blieb zäh und unerschütterlich am Leben. Ein immer dreckiges und hungriges Kind. Nie krank. So wuchs Rodrigo Sanchez heran. Inzwischen war er dreizehn Jahre alt und die Sippe hatte sich vergrößert.

Manchmal saß er mit seinen grimmigen Gedanken zuhause auf dem Lehmboden der armseligen Hütte, in der er, die Sippe hatte sich vergrößert, mit seinen Geschwistern zusammen mit der Mutter hauste. Einen gemeinsamen Vater gab es nicht. Niemand wusste genau, wer waren die Erzeuger, nicht einmal die Mutter. Jener Mann, von dem sie sich derzeit verprügeln und bespringen ließ, war ein Säufer.

Die Mutter hielt ihre Schar mit dem Hurenlohn am Leben, den sie sich in den Hafenkneipen verdiente. Ihr Gesicht trug verhärmte Züge, war von Falten gefurcht. Ihre Augen blickten glasig von Suff, Hunger, Elend und Prügel. Der einstmals vorhandene Liebreiz war längst unter Dreck und Verbitterung verschwunden, obwohl sie noch keine dreißig Jahre alt war. Ein knappes Dutzend Schwangerschaften, eine pro Jahr, hatten ihre Hüften breiter werden lassen. Ihre Brüste waren längst nicht mehr so straff wie früher. Die meisten Zähne fehlten bereits, so dass ihr einstmals verheißungsvolles Lächeln mit den Jahren zum zahnlosen Grinsen einer Vettel geworden war. Dass sie überhaupt noch Freier fand, verdankte sie dem Alkohol und der Dunkelheit der Nacht. Beides gute Verbündete, wenn es darum ging, Reize vorzutäuschen. Die andalusischen Schafhirten, Matrosen, Fischer und Hafenarbeiter, zeigten sich nicht wählerisch, wenn sie für wenig Münzen eine Wurst, ein Stück Käse, vorwiegend aber für Wein und Schnaps schnelle Befriedigung zwischen den Schenkeln der Hure Sanchez fanden. Nicht alle dieser Bälger dieser Freier waren so zäh wie Rodrigo. Die meisten taten der Hure und ihren wechselnden Zuhältern den Gefallen und starben im ersten Lebensjahr. Auch der Bastard von diesem Säufer war schon nicht mehr da. Er war nur drei Monate alt geworden. Der Alte hatte das brüllende Wesen im Suff so lange geschüttelt, bis es für immer still blieb.

Wie es wohl wäre, wenn er diesen Abschaum umbringen würde, fragte sich Rodrigo. Vielleicht hätten sie es alle dann leichter im Leben. Er, seine beiden jüngeren Brüder Miguel und Pedro und die dreijährige Consuela, die Jüngste der noch lebenden Geschwister.

Da