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Es klopft, Augustus setzt die Brille auf und ruft laut und hell: Herein. Er weiß, wer um diese Zeit kommt.
Der Pfleger Robert öffnet die Tür, lässt Gerda eintreten, er trägt eine offenbar volle Reisetasche. Gerda nimmt sie ihm ab, sagt: Schon gut, danke. Und Robert, dialektnah: Sie will’s mich net machen lassen. Und Augustus: Danke, lieber Robert, danke. Robert: Wenn man schon nichts tun kann für die Menschheit, dann tut man eben, was sich gehört. Frau Doktor, Herr Professor, ich wünsche einen schönen Tag. Er geht. Darauf hat Augustus gewartet, jetzt legt er los.
Die Sonne wüsste nicht, warum sie scheint, wenn sie nicht dich beschiene!
Aus welchem Stück?
Aus meinem.
Wie heißt das Stück?
Großer Bahnhof für Dr. Gerda! Glaub’s oder glaub’s nicht, die bringen jeden Tag wieder das Frühstück, und ich muss jeden Tag wieder an Eides statt erklären, dass Professor Overath persönlich mir erlaubt hat, das Klinik-Frühstück nicht anzurühren und dafür das Frühstück von Dr. Gerda Baum zu verschlingen, weil Dr. Gerdas Frühstück alles enthält, was ich an diesem Tag brauche. Aber solange du da bist, rühr ich’s nicht an. Ich verzehre dich. Mit den Augen.
Wie geht es den Augen?
Wie geht es der Hüfte? Wo ist der Stock?
Churchill ließ sich nie mit Stock fotografieren. Ich hab ihn beim Pförtner gelassen.
Weil du ihn nicht brauchst?
Weil du ihn furchtbar findest.
Sie hat ihm, was zu seinem Frühstück gehört, hingestellt. Eine Schüssel, in der alles enthalten ist. Kefir, Früchte, Körner und so weiter. Obwohl er gesagt hat, solange sie da sei, rühre er das nicht an, löffelt er jetzt die ganze Schüssel leer.
Guten Appetit muss man dir nicht wünschen.
Dr. Gerdas Feinstkost! Damit könntest du die Welt erobern.
Mir würdest du reichen.
Sie hat aus der Tasche frische Wäsche in seinen Schrank geräumt und Gebrauchtes zum Mitnehmen verstaut. Sie kommt ans Bett, schaut zu, wie er isst.
Das kann ich nur bei dir.
Was?
Mir beim Essen zuschauen lassen. Ich weiß, wie komisch man aussieht mit vollem Mund.
Bei mir ist es dir egal, wie du aussiehst!
Mach doch nicht gleich was Negatives daraus. Ich hab es gemeint als Nähe. Unter allen Umständen.
Trotzdem heißt das, bei mir ist es dir egal.
Und wenn das so wäre?!
Da! Schau!
Sie zieht aus ihrer Handtasche ein Buch.
Das erste Exemplar.
Gibt es ihm. Er liest:
Abhängigkeit, Wahn und Wirklichkeit.
Das erste Exemplar.
Sieht toll aus. Wie eine Gewitterwolke, aus der gleich Blitze kommen.
Wie ein Dunkel, in dem sich das Licht verbirgt.
Das bist du.
Du bist ein Licht, das das Dunkel verleugnet.
Es gibt keinen Satz von mir, aus dem du nicht das Gegenteil herauswirtschaftest.
9900 Exemplare sind vorbestellt. Der Verleger findet’s erstaunlich.
Ich auch.
Ich hab dir eins mitgebracht als Belegexemplar. Du kommst auch vor.
Klar.
Sie nimmt das Buch, blättert, findet die Seite.
Das Kapitel heißt Schweigen und Verschweigen. Und dann noch das Kapitel Verheimlichung und Geheimhaltung. Falls es dich interessiert.
Gerda!
Du weißt, warum ich eine erfolgreiche Ärztin bin.
Weil du alle Krankheiten auf die Ursache zurückführst, die die Ursache aller Krankheiten ist.
Spotte ruhig.
Gerda, ich habe noch nie aufgehört, dich zu bewundern.
Und was ist die Ursache aller Krankheiten?
Abhängigkeit.
Und warum bist du in dieser Klinik?
Stopp! Endlich eine Krankheit, die nicht in dein Fach fällt. Durchblutungsstörung im Gehirn, Sehstörung bis zur Erblindung.
Die erstaunlich schnell verging. Du simulierst. Wie lange noch?
Bis … zum Wochenende. Ich könnte der Nachtschwester die Nina anbieten. Sie weiß noch nichts davon. Die Demski ist für die Nina so ung