Heute lasse ich in Kerrybrook die Sonne scheinen. Das ist angemessen nach drei Tagen mit wolkenverhangenem Himmel und Nieselregen. Es ist acht Uhr morgens, und die ersten Bewohner sind bereits vor Ort. Vierzehn Prozent, zeigt der Zähler an. Achtzehn. Siebenundzwanzig.
Kerrybrook ist die kleinste meiner Welten und die, die am wenigsten Arbeit, dafür aber den meisten Spaß macht. Ich habe sie nach dem Vorbild irischer Dörfer modelliert: hügelig, mit viel Grün, geduckten Häuschen und einer Burgruine, die über der Landschaft thront. Es gibt Schafe, gemütliche Pubs und jede Woche einen Markt auf dem Hauptplatz. Unendlich friedlich, all das. Manchmal ein bisschen eintönig vielleicht, aber das ist dann meine Schuld. Am liebsten würde ich selbst dort leben; das Schlimmste, was sich in den letzten vier Wochen getan hat, war eine Schlägerei imGoldenen Horn.
Zweiunddreißig Prozent. Ich gleite im Ansichtsmodus die Küste entlang. Die Sonne steht über dem Meer, lässt das Wasser funkeln. Ein paar Möwen kreisen um den Turm der Burg, eine von ihnen trägt einen Fisch im Schnabel. Am Fuß des Hügels spaziert eine Frau mit einem Korb über dem Arm, den Blick aufmerksam auf den Wegrand gerichtet. Sie sucht Goldschwämmchen, schätze ich. Ich habe die Pilze vor etwa zwei Monaten eingeführt, und sie sind ein voller Erfolg. Wer vierzig davon sammelt, kann sich einen Pass für eine von drei Welten aussuchen. Die Jagd nach den kleinen, golden schimmernden Hütchen hält meine Bewohner ziemlich auf Trab. So schön Kerrybrook auch ist, niemand hat etwas gegen eine Reise einzuwenden.
Acht Uhr dreißig, und neunundfünfzig Prozent der Bewohner sind anwesend. Ein Blick auf die Statistik: nur drei Transfers in andere Welten. Das ist ein ausgezeichneter Wert. Wer einmal hier ist, fühlt sich so wohl, dass er bleibt.
Auf Transfers muss ich nicht reagieren, nur auf Ausfälle, also wenn jemand, der zuletzt in meiner Welt war, überhaupt nicht mehr auftaucht. Weder hier noch anderswo im System. Meistens bedeutet das, die Person ist schwer krank oder tot. Bei einem Ausfall muss ich den jeweiligen Personalcode heraussuchen und Meldung machen, damit jemand beim entsprechenden Wohndepot vorbeisieht.
Acht Uhr fünfunddreißig, und in Kerrybrook weht kühler Wind vom Meer her. Ich seufze und wische mir den Schweiß von der Stirn. Hier bei uns ist es jetzt schon heiß, und das wird über den Tag hin noch schlimmer werden. Die Kühlung schaltet sich nie vor elf Uhr ein, und auch dann ist sie nur ein schlechter Scherz. Aber die vorhandene Energie wird für andere Dinge gebraucht.
Ich beginne den Funktionscheck für die nächste meiner Welten, Macandor. Bereits vierundachtzig Prozent der Bewohner anwesend. Ruhiger Schlaf ist dort schwieriger geworden, denn ich habe vor drei Tagen eine Horde von Feuerdämonen losgelassen. War nicht nett von mir, aber Macandor ist im Moment rettungslos überlaufen. Die Dämonen sollen ein wenig Platz schaffen; wer von ihnen gegrillt wird, der muss erst mal anderswo hingehen, je nachdem, welche Pässe er zur Verfügung hat. Der für Macandor ist dann futsch. Ich überprüfe die Statistik der letzten acht Stunden. Sieben Prozent sind den Dämonen zum Opfer gefallen, ich hatte auf acht abgezielt, aber was nicht ist, kann ja noch …«
»Hey, Jana!« Jemand tippt mir auf die Schulter, es ist Matisse, der mit einiger Verspätung in unserem gemeinsamen Workspace eintrifft. Er hält einen großen Becher in der Hand, auf dessen Außenseite sich Kondenswasser gebildet hat. Ich greife danach, das Gefäß ist verführerisch kalt.
»Danke dir!« Eistee mit Zitronenaroma. Ich trinke einen großen Schluck und schiele auf Matisse’ Trinkbecher. »Oh nein! Ehrlich? Synthetische Schokolade?«
Er blinzelt glücklich. »Ja. Eisgekühlt.«
Mich schaudert. »