Commodore 64
Ich bin Matthias Matschke, und meine Mutter heißt Irmhild Matschke. Ich bin dreizehn Jahre alt, und sie ist irgendwie unbestimmt alt. Sie hat sich dafür entschieden, gegen Computer zu sein. Natürlich dränge ich. Ich will einen Computer zum Spielen und für alles. Aber dass man sich auskennen muss, dass es mehr als drei amerikanische Firmen gibt, die Personal Computer anbieten, über die man sich vor dem Kauf informieren muss, das überfordert sie, und deshalb ist sie zu dem Schluss gekommen, dass wir erst einmal abwarten sollen, ob sich das mit den Computern durchsetzt.
Meine Mutter könnte es wissen. Sie arbeitet, wenn sie nicht als Pfarrersfrau Gemeindedinge tut, als Beamtin bei der Post im Fernmeldewesen in Dieburg, vierzehn Kilometer entfernt von unserem Dorf. Mit acht Jahren fragte ich meine Mutter einmal, was das Fernmeldewesen überhaupt sei, und sie sagte: »Ach, alles Mögliche. Das erkläre ich dir später mal im rechten Moment.« Der Moment bleibt aus, und so bleibt das Fernmeldewesen alles Mögliche. In Dieburg gibt es riesige Antennen, und dort gibt es auch Computer, mit Bildschirmen, mit grüner oder bernsteinerner Schrift und mit blinkendem Cursor. Wie in Cape Canaveral, denke ich, als ich bei einer Betriebsfeier gemeinsam mit anderen Kindern einmal den Raum mit den vielen Rechnern betreten darf. Meine Mutter kann aber nicht glauben, dass sich diese Geräte jemals in einem privaten Haushalt werden finden können. Dabei haben immer mehr Menschen um uns herum einen Computer zu Hause.
»Deine Eltern leben in einer Zeitschleife, sagt mein Vater«, sagt Robi Brandt. Robi ist mein bester Freund, aber ich hasse seinen Vater. Ich weiß nicht, was ich gegen ihn tun soll. Er hat Gefallen daran gefunden, mich zu provozieren, mir unbequeme Fragen zu stellen, immer wenn ich bei ihnen, beispielsweise nach einem langen Spielnachmittag, zum Abendbrot bleibe und wir zu viert mit seiner Frau am Tisch sitzen. Frau Brandt ist nett und schön, und ihr Wesen prägt meine Vorstellung davon, welche Frauen ich später einmal begehrenswert finde.
»Ein Einzelkind besucht das andere einzelne Kind, haha!«, sagt der Vater. Und dann stellt er wieder Fragen. »Wie alt sind deine Eltern?« Ich sage: »Ich weiß es nicht.« Und er fragt: »Wie haben sie sich kennengelernt?« Ich sage: »Ich weiß es nicht«, auch wenn ich es eigentlich ungefähr weiß.
Warum mag Robis Mutter diesen Mann? Herr Brandt hat im Neubaugebiet eine Straße unter uns das Haus für seine Familie gebaut. Er ist Architekt. Er und seine Frau haben viele Freunde, auch unter den Nachbarn.
Meine Eltern haben keine Freunde, nur Geschwister. Ich habe keine Geschwister, aber Freunde.
Mein Vater ist der Dorfpfarrer dreier dicht beieinanderliegender Dörfer am Rand des Odenwalds. Meine Mutter unterscheidet strikt zwischen dem »Außen« und dem »Innen«. So nennt sie die Welt einerseits und unsere dreiköpfige Familie andererseits. Alles, was meine Eltern mit dem Außen zu tun haben, sind soziale Verpflichtungen. So nennen sie es jedenfalls, wenn sie darüber reden: Bibelkreis. Kerberöffnung. Gottesdienst. Seelsorge. Konfirmanden. Seniorencafé. Begräbnis.
Wir, das Innen, sind das, was nicht offiziell ist. Dann ist meine Mutter auch entspannter als sonst. Immer wenn meine Eltern nach Hause kommen, ziehen sie sich um. Als wäre das, was sie draußen tragen, ein Kostüm, und als wären sie Schauspieler und unser Haus die Garderobe, wo man sich zum ungeschminkten Ich zurückverwandelt. Wenige sehen sie so. Wir haben selten Besuch. Die Eltern meiner Eltern besuchen wir dort, wo sie wohnen. Robi darf mit uns zu Abend essen und bei uns sein. Auch meine anderen Freunde aus der Schule, wenn sie mal zu uns kommen. Das geht schon. Aber bei den wenigen Malen, die uns Bekannte oder Kollegen besuchen, wirken meine Eltern ungelenk und eckig. Es ist dann, als wären sie bei sich selbst zu Gast. Auch Gemeindemitglieder werden nur im Büro meines Vaters, im Gemeinderaum Gethsemane oder in der Kirche empfangen.
Aber auch das ist meinen Eltern noch zu nahe. Als ich in die Schule komme, ziehen sie mit mir ein Dorf weiter in ein Fertighaus mit Doppelgarage. Es hat sich im Außen etwas verändert. Im Dorf weiter ist ein Neubaugebiet entstanden. Bauern haben ihre Felder verkauft. Sie