: Sarah Easter Collins
: So ist das nie passiert Roman
: Heyne
: 9783641310189
: 1
: CHF 5.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Und wenn es eine andere Geschichte gibt, verschüttet unter der, die ich zu kennen glaube?«
Als Willa ein Teenager war, verschwand ihre kleine Schwester Laika spurlos. Auch über zwanzig Jahre später hat Willa die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Laika noch lebt. Hartnäckig sucht sie weiter nach ihr. Sie sehnt sich nach der Familienidylle, die mit Laika verloren zu sein scheint. Darüber vernachlässigt sie die Beziehungen zu den Menschen, die tatsächlich noch Teil ihres Lebens sind. Dann trifft sie auf einer Dinnerparty eine Frau, in der sie endlich ihre verlorene Schwester zu erkennen glaubt. Was als zwangloses Essen beginnt, wird zu einem denkwürdigen Abend, der alles verändert, was Willa von ihrem Leben zu wissen meinte.

Sarah Easter Collins ist in Kent, England, aufgewachsen und hat in Exeter studiert, bevor sie nach Botswana und später nach Thailand und Malawi zog, um dort Kunstunterricht zu geben. Ihre große Leidenschaft neben dem Schreiben ist die Malerei. Für ihre Bilder lässt sie sich von Erinnerungen an Orte inspirieren, die ihr viel bedeuten, sowie von der Landschaft um sich herum: das wunderschöne Exmoor, eine faszinierende Heidelandschaft voller Moore und Wälder, wo sie mit ihrem Sohn Luke, ihrem Mann und ihren Hunden lebt. Hier liebt sie es, durch die unberührte Natur zu laufen und in den wilden Flüssen und Seen schwimmen zu gehen.

3  
ABENDESSEN MIT FREUNDEN


ROBYN

Willa kommt in die Küche. Sie schenkt mir ein rasches, unsicheres Lächeln, dann blickt sie zur Diele, wo Stimmen zu hören sind: Jamie unterhält sich mit Cat. Ich ziehe sie an mich. Ihre Haare duften nach Rose und Ambra und noch etwas anderem, etwas Sommerlichem, vielleicht Orangenblüten, Klementinen.

»Wegen heute Vormittag«, sagt sie, und ihre Stimme ist ein tiefes, drängendes Wispern. »Ich …«

Sie bricht ab, als Sophie, unsere Fünfjährige, hereingestürmt kommt, ihre Arme um meine Freundin schlingt und sie beinahe umwirft. Es wird noch warten müssen.

»Lass Willa doch erst ihren Mantel ausziehen«, sage ich lächelnd, als Willa sich graziös wie eine Tänzerin vor Sophie verbeugt und ihr ein Buch und ein Kuscheltier, ein graues Kaninchen in einer Paisley-Weste, überreicht. Sie fährt mit einer Hand über die dunklen Haare unserer Tochter und streichelt ihre Wange. In dem dunkelgrünen Wickelkleid, das wunderbar mit ihren rötlichen Haaren kontrastiert, sieht Willa atemberaubend, wahrhaft schön aus. Große Brillanten funkeln an ihren Ohrläppchen. Sie scheint absolut perfekt: hohe Wangenknochen, schmale Hüften und lange Beine.

»Wow«, sage ich. »Du siehst fantastisch aus.«

»Seht euch die mal an«, sagt Cat, die mit einem riesigen Strauß aus Rosen, Pfingströschen, Disteln und Eukalyptuszweigen in den Händen die Küche betritt. Ihr folgt Jamie, der zwei teuer aussehende Weinflaschen im Arm hält. Er beugt sich herab und küsst mich mit einer für einen Mann von seiner Größe unerwarteten Zartheit auf die Wange, seinem warmen Atem auf meiner Haut haftet der süßsaure Geruch eines vor Aufbruch eingenommenen Drinks an.

»Robyn«, sagt er geschmeidig im tiefen Tonfall eines Radiomoderators einer Late-Night-Show, »es ist immer so schön, dich zu sehen.«

Willa bietet an, Sophie nach oben ins Bett zu bringen, sodass wir Jamie unterhalten müssen. Neben ihm sieht meine feingliedrige Ehefrau wie eine Zwergin aus. In unserer vollgestopften viktorianischen Küche wirkt er zu breit, zu groß, wie ein Luxus-Kreuzfahrtschiff eingezwängt in einen schmalen venezianischen Kanal, und augenblicklich keimt in mir der Wunsch, er möge sich hinsetzen. Ich ziehe einen Stuhl vor und lächle Cat kurz zu, als er sich darauf niederlässt. Er schlägt ein Bein übers andere, Fußknöchel aufs Knie, und schaufelt sich aus einer Schale eine Handvoll Mandeln in den Mund. Ich mache einen Bogen und setze mich neben Jamie, während Cat die Blumen in eine Vase stellt. Er lehnt sich zurück und legt schwerfällig einen Arm auf meine Stuhllehne, worauf ich mich nach vorne beuge und die Ellbogen auf dem Tisch abstütze.

»Warum kümmere ich mich nicht um den Wein?«, sagt er. »Und mache mich nützlich.« Er mustert das Etikett auf einer der Weinflaschen. »Gib mir einen Korkenzieher, dann öffne ich die hier, wenn du willst.«

»Wir haben auch Schampus«, sage ich. »Oder vielleicht magst du einen Aperitif? Wodka? Gin? Ich mixe einen großartigen Martini.«

»Schon gut«, erwidert er, zieht den Korken heraus und schenkt sich ein großes Glas von dem samtigen Wein ein. »Das hier genügt.« Für den Bruchteil einer Sekunde fällt mir nichts ein, was ich zu Jamie sagen könnte, einem M