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Immer, wenn die Angst zurückkehrt, sehe ich mir Fotos meiner eigenen Beerdigung an. Der helle Holzsarg in der Aufbahrungshalle. Die vielen Kerzen und das riesige Bild, auf dem ich den Gästen entgegenlächle. Meine Augen sind grüner als in Wirklichkeit, mein Haar ist in glänzende Locken gedreht und eine Spur dunkler als der Sarg. Die Frisur ist untypisch für mich, aber ich wollte dem Mann hinter der Kamera gefallen, damals.
Rund um den Sarg: Kränze. Die mit Rosen sind klar in der Überzahl. Rot, rosé, gelb, weiß. Die Schleifen tragen die üblichen Sprüche: In tiefer Trauer. In ewiger Liebe. In Dankbarkeit.
Nur einer davon birgt eine tiefere Wahrheit in sich. Er hängt an dem mit Abstand hässlichsten Kranz, der gleichzeitig einer der größten ist und schräg rechts unterhalb des Sargs steht. Die Kombination aus knallpinkfarbenen Lilien und leuchtend orangefarbenen Gerbera würde jeden Betrachter sofort schaudernd den Blick abwenden lassen, wären da nicht ein paar irritierende Details, die stutzig machen. Die einsame Narzisse zum Beispiel, die wie irrtümlich zwischen zwei Lilien herausragt. Eine Distel, wahrscheinlich die einzige, die je ihren Weg auf einen Trauerkranz gefunden hat. Und zu guter Letzt ein kleiner Strauß Vergissmeinnicht, der als blauer Fleck das Gerberaorange durchbricht.
Ich wüsste gerne, wie viele Trauergäste angesichts solcher Scheußlichkeit ratlos den Kopf geschüttelt haben, aber natürlich haben sie die Botschaft hinter dieser optischen Beleidigung nicht begriffen. Auch ich musste erst einige Monate lang mit der Materie arbeiten, um alle Feinheiten zu verstehen.
Die Signalwirkung von Pink und Orange sollte meinen Blick auf den Kranz lenken und somit sicherstellen, dass ich die versteckten Hinweise nicht übersehe.
In der Sprache der Blumen steht die Distel für Kraft, aber auch für Sünde. Narzissen symbolisieren Wiedergeburt – nichts wünsche ich mir weniger. Die Vergissmeinnicht sind selbsterklärend, aber sollten trotzdem Zweifel bleiben, werden sie von dem Spruch auf der Schleife restlos beseitigt. Sie ist blutrot und gibt dem Kranz farblich den Rest.Auf ewig unvergessen, steht in goldenen Lettern darauf.
Es ist eine Warnung, und ich weiß, von wem sie kommt.
Unsere Auftragslage ist gut, Matti läuft pfeifend durchs Geschäft, während ich in der Werkstatt sitze und Tischgestecke für eine Hochzeit fertige. Eine angenehme Abwechslung, auch wenn ich nicht begreife, warum jemand den Blumenschmuck für seine Trauung von einem Friedhofsfloristen richten lässt. Hätte ich die Wahl gehabt, wäre ich lieber in einem Gartencenter oder einer normalen Blumenhandlung gelandet, irgendwo in der Vorstadt, wo man hauptsächlich Geburtstagssträuße und Valentinstagsrosen verkauft. Aber Robert war dagegen. »Wer auf dem Friedhof arbeitet, wird nicht wahrgenommen. Die Menschen sind mit ihrer Trauer beschäftigt, sie wollen so schnell wie möglich wieder verschwinden. Unsichtbarer als dort wirst du nirgendwo sein.«
Kann sein, dass er damit recht hat. Kann aber ebenso gut sein, dass er nur seinem seltsamen Sinn für Humor nachgeben wollte und mich deshalb zu den anderen Toten geschickt hat.
Cremefarbene Rosen, Schleierkraut, weiße Schleifen, eine grüne Hortensie. Das Ganze locker umwickelt mit Silberdraht, auf den Perlen aufgezogen sind. Fünfzehn Tische macht fünfzehn Gestecke. Ich schaffe drei in einer Stunde; wenn ich fertig bin, werde ich noch eine Runde über den Friedhof drehen.
Beethovens Grab ist der Ort, an den es mich üblicherweise zieht, wenn ich mich so verloren fühle wie heute. Gruppe 32 A, Nummer 29. Er wurde in Bonn geboren, starb in Wien und wurde hier auch beerdigt. Allein dadurch fühle ich mich ihm verbunden, obwohl der Schaup