: Henry Bedford-Jones
: Thomas M. Meine
: Die Reise der Pelican
: Books on Demand
: 9783756261864
: 1
: CHF 2.40
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 236
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Verwirrspiel um die Bergung eines gesunkenen Schiffs mit wertvoller Fracht. Mitten drin ein gescheiterter Zeitungsverleger und seine gerade angetraute Frau, Tochter eines als verschollen geglaubten Kapitäns, die auf eine Fahrt mit der Pelican entführt wurden und sich tapfer und mit Geschick gegen eine mörderische und skrupellose Bande wehren und auch den Vater retten müssen. Nach dem 1924 erschienenen Abenteuerroman'The Cruise of the Pelican' von Henry Bedford-Jones

II. Nachrichten von nirgendwo


Am Sonntagmorgen hörte sie die Stimme von Tom Dennis am Telefon und erhielt die Einladung, mit ihm in der Stadt Mittag zu essen. »Komm in die Schule, Tom!«, hatte sie ihm geantwortet. »Du kannst als mein Gast in der Aula speisen. Was hat dich überhaupt in die Stadt geführt?«

»Ich kann jetzt nicht reden, Florence. Und ich muss deine Einladung ablehnen, weil wir alle drei in der Stadt essen müssen. Am besten im 'Royton', dann haben wir vergleichsweise viel Privatsphäre.«

»Alle drei?«, wiederholte sie. »Wer ist bei dir?«

»Ein Mann, der Neuigkeiten von deinem Vater hat, Liebes. Er soll um Punkt eins zu uns ins 'Royton' kommen, aber ich möchte dich vorher noch kurz sehen. Treffen wir uns doch gegen halb eins im Kunstinstitut. Ich bin im Japan-Raum. Glaube mir, es ist wichtig!«

»Neuigkeiten von Vater? Aber ja! Ich werde pünktlich da sein, Tom. Japan-Raum!«

Zu einer Stunde, in der die Galerien völlig menschenleer waren, lief Tom Dennis im Japan-Raum auf und ab und vorbei an den Vitrinen mit den Lackobjekten. In seiner gegenwärtigen Stimmung, nachdenklich die Stirn runzelnd, sahen seine Züge fast abweisend aus; es war ein starker Gesichtsausdruck, zerklüftet von einer kompromisslosen Männlichkeit.

Wenn man ihn so betrachtete, konnte man verstehen, wie dieser Mann sich ohne fremde Hilfe erst durch das College und später an die Spitze eines überlaufenen Berufs hochgearbeitet hatte.

Fast auf die Minute pünktlich erschien Florence Hathaway. Dennis kam ihr an der Tür entgegen, hielt ihre Hand, schaute sich kurz um und beugte seine Lippen darüber.

»Hier entlang, Liebes!«, sagte er und drehte sich um. »Da sind wir ungestört.«

Gemeinsam gingen sie nach draußen auf einen der kleinen Balkone mit Blick auf den dunstigen Park und das Seeufer. Tom Dennis wischte zwei der Stühle ab und stellte sie an das steinerne Geländer.

»Worum in aller Welt geht es, Tom?«, fragte das Mädchen verwundert.

»Erst ich, dann du«, antwortete Tom.

Lächelnd füllte er seine Pfeife und zündete sie an. Dann erzählte er seine Geschichte, beginnend mit seiner eigenen Situation am vergangenen Nachmittag bis hin zur Ankunft von Bootsmann Joe. Er beschrieb seinen eigenen hoffnungslosen Fall sehr unverblümt und freimütig.

Florence Hathaway unterbrach ihn nicht, sondern saß schweigend da, die Augen auf sein zerklüftetes Gesicht gerichtet, in dem sie die Zeichen seiner Sorgen aus der zurückliegenden Zeit und wegen seines Versagens las.

Es waren schöne Augen, die mit Liebe und Zärtlichkeit auf ihm ruhten. Ein Künstler hätte sagen können, dass sie zu groß für ihr Gesicht waren, dass ihre glühenden braunen Tiefen eine zu leidenschaftliche Inbrunst enthielten, eine zu ruhige Ausstrahlung, die nicht zu ihren fast farblosen Wangen passte.

Nach keiner Regel konnte Florence Hathaway als besonders schön bezeichnet werden, und doch hatte Marshville sie mehr vermisst, als alle anderen abwesenden Töchter zusammengenommen.

In ihren Augen lag in der Tat die tapfere und zarte Seele von Florence Hathaway. Ihr schlanker, fast mädchenhafter Körper wirkte zerbrechlich, doch wer in ihre ebenmäßigen Augen blickte, wusste, dass sie einen unbezähmbaren Geist besaß – vielleicht ein Erbe jenes verlorenen Vaters, dessen eiserne Seele mit den Männern und Winden und Meeren der halben Welt gekämpft hatte.

»Dann hast du Marshville für immer verlassen?«, fragte sie leise, als Dennis innehielt.

»Ja.« Er nickte knapp. »Das Gebäude wird für sechs Monate geschlossen sein. Wenn ich bis dahin nicht zurückgekehrt bin, wenn ich nicht auf eine glückliche Ader gestoßen bin, kann der alte Dribble seine Hypothek kündigen und gesegnet sein!«

»Natürlich setze ich nicht darauf, schnell reich zu werden; es ist nur eine große Chance, die mir noch bleibt.«

»Nun, da das geklärt ist«, fuhr er fort, »lass uns über deinen neuen 'Freund' Ericksen sprechen. Hast du noch nie von jemandem mit diesem Namen gehört?«

»Nein. Er könnte aber meinen Vater gekannt haben – «

»Dazu komme ich gleich. Ericksen war von der Pazifikküste herübergekommen, um dich zu finden – persönlich. Merke dir das als Punkt 'Eins' – großgeschrieben.«

»Warum aber persönlich, wenn ein Brief oder ein Telegramm dich auch erreicht hätte? Das wirft gleich ein Fragezeichen zu Punkt Eins auf. Außerdem mag ich das Aussehen des Kerls nicht.«

»Punkt Zwei: Er erzählt eine sehr merkwürdige Geschichte, dass dein Vater gar nicht auf dem Meer verschollen ist, sondern gerettet wurde – «

»Was?«, unterbrach das Mädchen und beugte sich vor. Wieder nickte Dennis unbeirrbar.

»Ja, wenn du es glauben willst. Ich glaube es nicht!«

»Er sagt, dein Vater sei von Eingeborenen, die ihn auf einer der Aleuten-Inseln gefunden hatten, nach Unalaska gebracht worden [Stadt auf der Aleuten-Insel Unalaska Island im US-Bundesstaat Alaska] – und er sei dann an etwas erkrankt, was man früher 'Gehirnfieber' nannte.«

»Er erlitt dadurch eine ziemliche Lähmung. Man hat ihn deswegen nach Vancouver in Kanada gebracht und er lebt jetzt dort in einem Seemannsheim. Wegen der Lähmung, kaum in der Lage am Leben zu bleiben, war er nicht fähig gewesen, seinen Namen zu nennen – denk daran, dies ist alles so, wie es der Bootsmann Joe erzählt.«

»Ericksen oder einige seiner Freunde hatten deinen Vater dort gesehen, ihn erkannt und ihn sofort in eigene Obhut genommen. Verstehst du das, Florence? Sie haben ihn jetzt in einem Haus in Vancouver und kümmern sich um ihn.«

»Fragen zu Punkt Zwei! Sie sind sicher keine solchen Menschenfreunde; warum haben sie das getan? Warum haben sie sich nicht mit den Behörden in Verbindung gesetzt? Warum haben sie Bootsmann Joe geschickt, um dich zu holen?«

»Um mich zu holen?« Die braunen Augen des Mädchens zeigten ein lebhaftes Leuchten.

»Ja. Ericksen möchte, dass du deinen Vater besuchst, dass du versuchst, mit ihm zu kommunizieren. Aber warum? Ich weiß es nicht.«

»Wahrscheinlich weiß dein Vater etwas – etwas, das Ericksen oder seine Freunde wissen wollen.

Nun, ich nehme an, du würdest schnell genug mitgehen, wenn du an diese Geschichte glaubst?«

»Mitgehen?«, platzte es aus ihr heraus. »Aber natürlich! Heute noch – jetzt!«

»Ericksen schien zu glauben, dass du das nicht tun würdest«, sagte Dennis trocken. »Er hat mir tausend Dollar angeboten, um dich zu überreden, mitzukommen. Ich habe mich aber geweigert, ihm deine Adresse zu geben.«

»Wir sind gestern Abend zusammen nach Chicago gekommen, und ich habe ihm gesagt, dass du uns zum Abendessen treffen würdest. Das ist alles.«

»Punkt Drei: Warum hat er mir das Geld angeboten?«

Er schwieg eine Minute lang, dann drückte er seine Pfeife aus und drehte sich zu ihr um.

»Bedenke es genau, Florence: Da ist etwas mächtig Seltsames im Wind!«

»Zu Punkt Eins: Warum ist Bootsmann Joe persönlich gekommen, um dich zu holen? Zu Punkt Zwei: Warum kümmern sich seine Freunde um deinen Vater? Zu Punkt Drei: Warum versuchen sie, mich zu bestechen, damit ich dich zum Gehen überrede? Das gefällt mir nicht.«

Sie sah ihn schweigend und stirnrunzelnd an.

»Ich kann keine dieser Fragen beantworten«, sagte sie schließlich, etwas zögerlich. »Aber wenn mein Vater noch lebt und in diesem Zustand ist, dann ist mein Platz bei ihm!«

»Lassen wir das«, fuhr sie fort, »bis wir diesen Mann gesehen haben. Er wird vielleicht einige Beweise für mich haben. Was hätte er für einen Anreiz, mir eine solche Geschichte zu erzählen, wenn sie nicht wahr wäre – «

»Was dich betrifft, Tom: Was hast du jetzt vor?«

Er lachte kurz auf. »Ich habe kaum darüber nachgedacht, Florence; diese andere Sache hat mich die ganze Nacht beschäftigt. Aber eins weiß ich, ich werde nicht zulassen, dass du mit diesem Seemann an die kanadische Westküste gehst! Das ist todsicher. Wenn seine Geschichte wirklich wahr ist, dann komme ich mit, irgendwie!«

Er schaute auf seine Uhr und erhob sich.

»Es ist Zeit! Mach Ericksen keine festen Zusagen. Hör ihm zu und ziehe deine eigenen Schlüsse. Vereinbare zunächst einen Termin für morgen, um ihm eine Antwort zu geben. Am besten wieder im Royton. Bring ihn dazu, unsere Kosten für die Reise in den Westen zu übernehmen.«

»Du weißt, dass ich sein Geld nicht annehmen werde, Tom – für so einen Auftrag.«

»Aber ich werde das«, und Dennis lachte.

»Ich bin auf vierunddreißig Dollar runter! Außerdem...