»Du willst nicht, dass ich dich begleite?«, vergewisserte sich Jerome.
Es war Morgen, sie standen auf Dianes Veranda. Das bezaubernde Haus im viktorianischen Stil war in leuchtenden Farben gestrichen. Ihr Gästezimmer ging zur Straße hinaus, Dianes großes Schlafzimmer nach hinten, mit Blick über den stillen Garten. Naomi hatte Diane kennengelernt, als sie beide in einem Fall als Zeuginnen aussagten. Sie freundeten sich augenblicklich an, vielleicht auch, weil Diane akzeptierte, dass Naomi ständig wegen ihrer Fälle durchs Land zog und daher immer wieder in ihrem Leben auftauchte und daraus verschwand. Sie hatte ihr sogar den leeren Dachboden überlassen, damit Naomi ihre Akten dort verwahren konnte.
Aber nun waren Naomi und Jerome pleite. Das letzte Jahr hatte die knappen Ersparnisse verschlungen, die sie beiseitegelegt hatten. Naomi hatte sich geweigert, andere Fälle anzunehmen, bis sie ihre Schwester finden würde, und das ständige Reisen bedeutete, dass auch Jerome keine Anstellung fand.
»Wir brauchen Geld, mein Schatz«, erwiderte Naomi lächelnd.
»Ich versuche es ja«, scherzte er und spannte den einen Arm an, der ihm geblieben war. Der fehlende sprach Bände: Versuch du doch mal Arbeit zu finden, wenn du nur einen Arm hast.
Jerome, der Soldat und Sheriff gewesen war, wusste, dass er einen exzellenten Polizeibeamten und Ermittler abgab. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass ihn die hiesigen Vollzugsbehörden eingestellt hätten, und darüber hinaus wusste er ja auch nicht, ob sie in der Stadt bleiben würden. Er hätte viel lieber draußen auf dem Land gelebt, aber das Gespräch darüber musste warten, bis sie Naomis Schwester gefunden hätten. Sollten sie sie nicht finden … Nun, darüber wollte er gar nicht nachdenken.
Die eine Möglichkeit, die ihm einfiel, war, wie seine Frau Privatermittler zu werden. Aber er war nicht sicher, was Naomi davon gehalten hätte. Die Misserfolge des vergangenen Jahres hatten beide verunsichert zurückgelassen, auch im Umgang miteinander. Zum ersten Mal seit sie in sein Leben getreten war, zögerte Jerome, ganz offen mit Naomi zu sprechen.
Er wünschte, jemand hätte ihm beigebracht, wie eine Ehe funktionierte. Ohne Mutter und Vater aufgewachsen, hatte er nur seine Pflegemutter Mrs. Cottle gehabt, Gott sei ihrer Seele gnädig, die verwitwet gewesen war. Er wollte Naomi ein guter Ehemann sein.
Sie kam näher, lehnte sich auf der Suche nach einer Umarmung an ihn. Überrascht legte er seinen einen Arm um sie und erinnerte sich an das erste Mal, dass sie sich geliebt hatten. Ihr Gesicht unter seinem. »Es wird alles gut«, sagte er zu ihr und wünschte, er wäre zufriedener mit sich selbst gewesen.
Jeromes früheste Erinnerungen an Naomi, als sie gerade erst bei ihnen aufgenommen worden war: zunächst verängstigt und dann ganz die Draufgängerin, bevor sich diese Eigenschaft zu stillem Mut wandelte. Sie rannten über die Felskämme am Rand von Opal, stöberten die Zaubersteine auf, die die Versteinerung der Zeit ihnen dort hinterlassen hatte: Quarz und Jaspis, glänzende Achate, die sie mit ihren T-Shirts polierten, und die allgegenwärtigen Opale. Mit etwas Spucke brachte man sie zum Leuchten.
Ihre zweite Lieblingsbeschäftigung war die Suche nach alten Artefakten der Urbevölkerung. Teile seines Erbes wie Splitter seiner eigenen Knochen aus der Erde. Manchmal fanden sie Pfeilspitzen – oder taten so, als wären es Pfeilspitzen, auch wenn es sich wahrscheinlich bloß um dreieckige Felssplitter handelte. Ein paarmal fanden sie Orte im Wald, die wie sehr alte Lagerplätze wirkten, untypisch weite Lichtungen, auf denen Bohlenhäuser gestanden haben mochten. An diesen Orten gab es Steinhaufen, unter denen sich Schätze verbargen. Heute war Jerome traurig, dass er sie nicht aufbewahrt h