Kapitel 1
Ich ließ die Fensterscheibe meines Wagens herunter und fuhr langsam zur Einfahrt der Tiefgarage. Ich drückte auf den kleinen grauen Knopf an der Metallsäule, um mein Ticket zu lösen und einzufahren.Guten Tag, las ich auf dem Display des Automaten, als er mein Parkticket auswarf. Die Schranke ging hoch. Ich sah schon, die meisten Parkplätze waren belegt. Was kam ich auch immer so spät! Aber wenn ich die Auswahl hatte zwischen Smalltalk und einer angespannten Parkplatzsituation, nahm ich lieber den Stress der Parkplatzsuche in Kauf. Ich hasste es, mit einem Sektglas in der Hand durch einen Raum zu schlendern. Nicken, lächeln, immer nicken und lächeln. Da! Eine Parklücke. Ich fuhr hinein und stellte den Motor ab. Dann griff ich nach meiner Handtasche auf dem Beifahrersitz. Das Farbenspiel aus dunklem und hellem Braun passte perfekt zu meiner dezenten Frühsommerbräune und meinem blonden Haar. Aber vor allem passte die Tasche perfekt zu meinem goldenen Cocktailkleid, das mir eine ehemalige Schulfreundin für diesen Abend genäht hatte. Sie gründete gerade ein Start-up als Designerin und bat mich um Unterstützung. Natürlich war ich die perfekte Werbeplattform für sie. Mit meinem YouTube-Kanal erreichte ich inzwischen an die zwei Millionen Abonnenten. Ich kramte nach meinem roten Lippenstift, der irgendwo in der Handtasche lag, und tupfte ihn auf meine Lippen. Mein Gesicht wirkte gleich frischer und kecker. Dann stieg ich aus und zog mein Kleid zurecht. Es war ziemlich kurz. Ich warf einen Blick auf mein Handy. Noch immer kein Rückruf von Ben. Wo blieb er nur? Ich wählte ihn an, aber er hob nicht ab. Also schrieb ich ihm eine Nachricht.
… ich geh schon rein. Bin eh schon spät. Bist du da? Melde dich, ohne dich halte ich das nicht aus … Bis gleich …
Ich befand mich im Katastrophenmodus. Ganz alleine, niemand an meiner Seite. Solche Situationen hasste ich. Ich sah mich nach dem Eingang um, fand aber nur ein Schild, das mich lotste. Es war ein ordentliches Stück zu gehen, bis ich den Eingang erreichte. Ich zog an der schweren Sicherheitstür. Für einen kurzen Moment stand ich im Dunkeln, dann reagierte der Bewegungsmelder und das Licht ging an. Vor mir befand sich ein langer Flur, gesäumt von Betonwänden. An der Decke flackerte eine Neonröhre. Ganz hinten sah ich den Parkautomaten und die Treppe. Ich ging nach oben. Nach zwei Etagen hörte ich leises Gemurmel und Gelächter und stand im Foyer des Hotels.
Der Boden war aus weißem Marmor und die Wand, zu der ich blickte, aus Glas. Ich schaute nach draußen in den Park, der rund um das Hotel angelegt war. Das Gras leuchtete noch hell von der Sonne, die bald untergehen würde. Mittig im Raum hing ein großer Kristallleuchter. Ich ging direkt auf ihn zu. Es war schwer zu sagen, ob er wirklich antik oder nur ein Replikat war.
»Schön, oder?«
»Ja. Märchenhaft«, sagte ich. Neben mir stand die junge Frau, die mich fast immer auf solchen Events ansprach. Wir kannten uns schon ewig, aber ich habe mir ihren Namen nicht gemerkt.
»Bist du schon lange hier?«, fragte sie.
»Nein, grad gekommen. Und du?«
»Seit einer halben Stunde.«
»Und wie geht’s dir? Was machst du?«
»Mir geht’s super! In zwei Wochen fahre ich in Urlaub. Ich freue mich riesig. Hör zu, ich sollte mal wieder einen Deal abschließen. Hast du unser Sortiment noch im Kopf? Interesse, für uns zu werben? Wir haben auch ein paar neue Sachen«, plapperte sie und langte in ihre Handtasche. Genau deswegen hasste ich diese Veranstaltungen. Eigentlich will dir jeder etwas andrehen. Verkaufen, verkaufen, verkaufen. Geld, Geld, Geld. In Wahrheit ging es nur ums Verkaufen und Geld.
»Urlaub klingt super«, erwiderte ich. »Weißt du was? Lass uns nachher plaudern. Ich muss meinen Tisch finden.«
»Ist gut. Du kannst ja schon mal drüber schauen.« Sie steckte mir den Zettel zu