: I.L. Callis
: Doch das Messer sieht man nicht Kriminalroman
: Emons Verlag
: 9783987071423
: 1
: CHF 11.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 352
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Zeitgeschi htliches Flair trifft auf düstere Thriller-Elemente - eindrücklich, verstörend, hochspannend. Berlin, 1927: Anaïs Maar ist jung und schwarz, boxt und schreibt für ein Boulevardblatt. Als sie über eine Reihe von Prostituiertenmorden berichten soll, wittert sie ihre langersehnte Chance auf Anerkennung. Währenddessen tanzen die Berliner auf dem Vulkan - Luxus, Spekulation und nächtliche Exzesse stehen Arbeitslosigkeit, Inflation und menschlichem Elend gegenüber. Anaïs kämpft nicht nur gegen den »Ripper von Berlin«, sondern auch mit den gefährlichen Vorzeichen eines dramatischen Epochenwandels.

I.L. Callis ist gebürtige Italienerin, wuchs in Berlin und Paris auf und studierte in Salzburg Jura. Journalistische Erfahrung sammelte sie beim Aktuellen Dienst des ORF, ehe sie am Institut für Europäische Rechtsgeschichte zur Zeitgeschichte und zur nationalsozialistischen Gesetzgebung forschte. Callis ist Mitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte und gehört den International Thriller Writers an.

EINS

»So, Finchen, das ist also nun unser letzter Abend.«

Josefine, die zur Feier des Tages ihr fabelhaftes rotes Kleid mit den weißen Punkten angezogen und ihr Glockenhütchen aufgesetzt hatte, sah von ihrem vornehmen Salat mit Havelkrebsen auf und begriff erst mal rein gar nichts. Georg und sie saßen im Restaurant Zur Linde, und zwar im feinen Jagdzimmer, weshalb die Wände mit dunklem Holz getäfelt waren und daran Jagdbilder und Geweihe hingen. Sogar der Kronleuchter bestand aus putzigen Lampenschirmchen auf Hirschgeweihen. Georg war auch Jäger, aber das sah man nicht.

»Was meinste, Georgchen?«, fragte Josefine.

»Sieh mal, Finchen, du hast es doch immer gewusst.«

Jetzt schwante Josefine eine schlechte Ahnung. Georg hatte sie an diesem Abend ganz vornehm zum Essen ausgeführt, und irgendwie war er so feierlich gestimmt gewesen, und da hatte sie an etwas Zukünftiges gedacht und auf seinen Antrag gewartet und ihm auch immer wieder so sinnliche Blicke voller Zustimmung zugeworfen. Josefine von Scherer, das klang fabelhaft. Besser als Josefine Hoffmann. Sie war achtzehn Jahre alt und blond und hübsch, sodass man sie schon mit Lilian Harvey verglichen hatte. Sie war eine Frau mit Ehrgeiz und Stil und entschlossen, demnächst zur Filmgöttin zu werden und im Glanz zu stehen. Josefine von Scherer, das klang wirklich fabelhaft. Dafür war sie auch bereit, einen Kurs für vornehmes Kochen und Benimm zu machen.

»Was soll ich gewusst haben, Georgchen?«, fragte sie.

»Dass unsere Liebe nicht für die Ewigkeit bestimmt ist.«

»Ick kenn dir gar nicht mehr, Georgchen.« Josefine legte die Gabel hin, so ganz mit Zierlichkeit. »Wat machste denn auf einmal für Fisimatenten?« Sie hatte tatsächlich eine Verwunderung.

Georg lachte. »Siehst du, Finchen, das meine ich«, sagte er. »Natürlich liebe ich dich genau so, so wie du bist, und es fällt mir sehr schwer – aber ich kann dir das Leben nicht bieten, das du verdienst. Du bist doch noch so jung und, na ja, deswegen muss dies eben unser letzter Abend sein.«

»Ick versteh immer nur letzter Abend – wieso denn?«

Georg machte dem Kellner ein Zeichen, und der schenkte gleich noch mal Champagner in die Kristallkelche, und Josefine hatte eine Erleichterung, weil Georg nur gescherzt hatte.

»Schau mal, Finchen«, sagte Georg. »Ein Mann wie ich hat es auch nicht immer leicht. Das verstehst du doch?«

Josefine warf ihm einen Lilian-Harvey-Blick zu, dann dachten die Männer immer, man hätte ein Verständnis, und in dem Glauben ließ man sie ja auch. »Natürlich, Georgchen«, hauchte sie.

»Du bist eine vernünftige Frau, Finchen«, sagte Georg und schob ihr ihr Champagnerglas hin. »Ein Mann in meiner Position kann nicht immer so, wie sein Herz es ihm befehlen möchte.«

Der kalte Champagner kitzelte in Josefines Nase, und gleich musste sie niesen und hatte wie immer kein Taschentuch parat.

»Ich werde bald dreißig.« Georg seufzte und reichte ihr sein eigenes Taschentuch, und das war blütenweiß und mit seinen Anfangsbuchstaben bestickt und so vornehm wie er selbst. »Es wird Zeit für eine Frau an meiner Seite.«

Josefine putzte sich ordentlich die Nase, und wenn die feinen Pinkel an den Nachbartischen deshalb dumm aus der Wäsche gu