ERSTER TEIL
Rosa
25. Januar1945. Wartenburg, unweit Allenstein, Ostpreußen
Nebenan warf die Nachbarin ihr Hab und Gut zum Fenster hinaus. Dicke Bündel in Kissenbezügen, Koffer und Kisten plumpsten auf den dick verschneiten Hof hinaus. Igor, der ihr zugeteilte ukrainische Kriegsgefangene, der längst unser gemeinsamer Freund und Helfer war, ließ die Tiere frei. Unwillig trotteten sie in der eisigen Kälte in der Dunkelheit des frühen Morgens herum und wussten nicht, wohin. Die Adern an seinem Hals traten hervor und sein Gesicht unter der Fellmütze war rot, als Igor das ganze Gepäck auf einen bereitstehenden Planwagen wuchtete und das letzte lahmende Pferd davorspannte. Das sah eindeutig nach Flucht aus, und Flucht war bei Todesstrafe verboten. Artilleriefeuer und Schüsse waren die ganze Nacht zu hören gewesen, und der Feuerschein züngelte am Himmel.
Ich setzte meinen kleinen Viktor neben seine Brüder auf den Fußboden und riss das Fenster auf. »Ida? Was soll das werden? Du haust doch nicht etwa ab?«
»Doch, Rosa, und das solltest du auch schleunigst tun! Hast du nicht gehört, dass die Russen bereits in Hirschberg sind? Heute Nacht war dort ein entsetzliches Massaker!«
Ida strich sich eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht und stopfte sie unter ihr dickes wollenes Kopftuch. Die kompakte Frau war in mindestens drei Mäntel und Schals gehüllt. Der Atem stand in kleinen weißen Wölkchen vor ihrem Mund. Die Panik ließ ihren Blick hart werden. »Sie haben die jungen Frauen vergewaltigt und viele getötet, die Häuser angesteckt und das Vieh verbrannt. Spätestens morgen sind sie hier! Auch unser kleines Dorf wird nicht verschont werden, glaube mir!«
»Um Gottes willen, Ida!« Während ich durch den Fensterspalt spähte, klopfte mir das Herz bis zum Halse. Ich hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und, dicht an meine drei Jungs gepresst, versucht, ihnen Halt und Geborgenheit zu geben. »Aber Flucht ist strengstens verboten, im Radio haben sie gesagt, dass jeder, der jetzt das Heimatland verlässt, ohne Vorwarnung erschossen wird.«
Mit einem besorgten Blick auf meine drei kleinen Söhne, die ahnungsvoll am Boden kauerten, versuchte ich, meine Stimme zu senken. »Entweder die Russen erledigen es oder die eigenen Landsleute. Da bleibe ich mit meinen Kindern lieber in meinen eigenen vier Wänden.«
Mit meinem Ehemann Paul hatte ich vor zehn Jahren dieses Haus gebaut, Stein für Stein, und mühsam unseren Garten bewirtschaftet. Wir besaßen zwei Kühe, zwei Kälber, Federvieh und Ziegen. Es ging