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Das musste es sein, das Haus, aus Feldsteinen gemauert, mit den verblichenen grünen Fensterläden, kurz vor der letzten Kurve. Die unebene, leicht ansteigende Fläche vor dem Haus war aus nacktem Fels, nur in den Mulden lag Sand und Kies, an einigen Stellen wuchs auch Gras. Neben der Eingangstür stand eine Holzbank mit einem langen Tisch davor, wie in den Biergärten in München. Aber die waren weit weg.
Elena hatte abrupt auf die Bremse getreten und verglich, was sie durch das Seitenfenster sah, mit dem Foto, das der Notar in Pordenone ihr zusammen mit dem Schlüsselbund überreicht hatte. Ja, das musste es sein, sogar der Rosmarinbusch an der Hausecke war gleich. Es fehlten nur die kleinen blauen Blüten. Und auf der Bank saß kein alter Mann. Sie war angekommen, parkte das Auto in einer Einbuchtung an der Straße und stellte erschöpft und erleichtert den Motor ab. Die steilen Serpentinen mit den engen Haarnadelkurven hatten ihr den Magen durcheinander geschoben und ihre Knie waren wie aus Gummi. Langsam stieg sie aus, mit dem verblichenen Foto und dem Schlüsselbund fest in den Händen, als wären sie ihr einziger Halt. Sie streckte sich, schüttelte ihre langen dunkelblonden Haare und fröstelte. Es war kühl hier oben und sie zog sich ihre Jacke an, ging ein paar Schritte zurück und blickte noch einmal in die Tiefe, aus der sie gekommen war, in das unglaublich weite, wellige Land dort unten.
Ich habe es geschafft, dachte sie, trotz Höhenangst und der ständigen Sorge, den Motor abzuwürgen und dann an der steilsten Stelle neu anfahren zu müssen. Anfahren am Hang. Das war immer die schwerste Hürde beim Führerschein. Drei Dinge gleichzeitig tun, Handbremse lockern, leicht Gas geben, Kupplung kommen lassen. Ohne nachzudenken. Nur so kam man in Bewegung. Aber jetzt bin ich oben, bin endlich auf dem Berg, auf diesem wenig befahrenen Pass, der von Italien nach Österreich führt. Kurz vor der Grenze. Und das Haus auf dem Foto habe ich auch gefunden. Nur der alte Mann saß nicht mehr auf der Bank. Wie sollte er auch? Er war gestorben, er hatte ihr das Haus vermacht. Elena stieg die kleine Anhöhe bis zur Haustür hoch, musste also noch ein kurzes Stück bergauf und ließ sich auf die Holzbank fallen. Von vorn beschien sie die kühle Märzsonne, die noch knapp über dem Berggrat stand, der das Haus im Westen überragte. Leicht geblendet folgte ihr Blick der Linie, die sich hart zwischen blauem Himmel und grauem Fels abzeichnete, zwischen Himmel und Erde.
Als ihre Knie und ihr Herzschlag sich wieder beruhigt hatten, stand sie auf und steckte den größten der vielen Schlüssel in das Schloss der massiven Haustür. Er passte, aber er ließ sich nicht drehen. Sie zog ihn etwas heraus, legte sich mit leichtem Druck gegen das schwere Holz, mal rüttelte sie daran, mal versuchte sie es mit Fingerspitzengefühl und drehte den Schlüssel in alle Richtungen. Aber vergeblich.
Plötzlich fühlte sie sich beobachtet, als wäre sie eine Einbrecherin. Sie spürte eine Anwesenheit in ihrem Rücken und gleichzeitig drang der Duft von frisch gebrühtem Espresso in ihre Nase. Schnell drehte sie sich um. Auf der schiefen Ebene des Vorplatzes stand mit strahlenden, aber dunklen Augen