: Heinrich von der Haar
: Kapuzenjunge Die Geschichte einer Vater-Sohn-Beziehung im Berlin der 90er Jahre
: Kulturmaschinen Verlag
: 9783967630060
: 1
: CHF 4.80
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: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 528
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Heiner hat sein Leben im Griff, als Lehrbeauftragter, mit der attraktiven Freundin Ruth. Wäre da nicht das traumatisierte, libanesische Waisenkind Jani, das er in sein Herz geschlossen hat und alleinerziehend adoptieren möchte. Heinrich von der Haars Roman führt in die deutsche Gegenwart des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts. Beklemmend, hart und mitreißend.

Es kann nicht alles perfekt sein, murmelt Heiner. Er hat auf ­seinem weißen Hemd Fettflecke entdeckt, wohl vom Kochen der Hühnersuppe, und versucht, sie wegzureiben. Nein, er wechselt das Hemd nicht. Beim Kindergeburtstag bleibt sowieso kein Hemd sauber. Er streift noch Fussel von seiner schwarzen Hose und schenkt sich Kaffee in die blaue Tasse ein. Der Henkel ist abgeschlagen und doch nimmt er immer diese, die Tasse seiner ­Mutter: das einzige, was er nach ihrer Beerdigung mitnahm. Bald darauf fegte Jani diese Tasse vom Tisch, als er um sich schlug; maßlos lange weinte er. Heiner konnte den damals Fünfjährigen dennoch trösten, für ihn da sein. Die Tasse wegzuwerfen, hat er nicht übers Herz gebracht. Er schmunzelt, setzt sich in den Gartenstuhl, lehnt sich zurück. Alles hat er fertig, auch den Gartentisch mit rotem Tuch und Kerzen feier­lich gedeckt. Mit Blick in den hellblauen Himmel atmet er tief aus. Das weiche Licht der Sonne funkelt in den Spitzen der Pappeln und erhellt die Nachbarhäuser. Leise Stimmen aus den Fenstern verklingen in weitläufigen Gärten. Gardinen tanzen hin und her. Westwind kräuselt in jungen Birken­blättern und hält das Rauschen der Berliner Autobahn fern.

Er hört die Gartenpforte quietschen. Jani läuft herein, zerrt die Schultasche vom Rücken, wirft sie ins Gras, springt Heiner auf den Schoß und drückt sich an ihn. »Geburtstag! Geburtstag!«

Heiner schlingt seine Arme um ihn. »Ich gratuliere dir, mein – mein Sohn.« ›Mein Sohn‹ kommt ihm nicht leicht über die Lippen; er fühlt sich als Schwindler.

»Papi, ich zwei Smileys, Malen und Rechnen, alles ­richtig!«

»Darauf kannst du stolz sein!« Heiner streicht ihm über das schwarze Lockenhaar. Wäre er nur sprachlich nicht noch so weit zurück.

Jani springt auf, rennt zu den Geschenken auf dem Garten­tisch, nimmt das größte, reißt das Papier auf. ­Fetzen fliegen herab. »Ein blauer 4YOU – super!«

»Schön, dass er dir gefällt!« Heiner streicht sich über seinen Bart. So einen Ranzen braucht Jani – um hierher zu passen, in den Eichforst, auch mit seiner dunkleren Hautfarbe. Aber das kostet. Sein Beruf, das Coachen Bildungsschwacher, bringt nicht so viel ein, wie das, was Ärzte und Anwälte verdienen, die hier auch zu Hause sind.

Jani greift das nächste Paket, in blauem Papier. Auch das flattert zerrissen herab. »Playmobilburg. Mit Drachen und Rittern«, jubelt er, betastet gleich eine flache T