: Heinrich von der Haar
: Mein Himmel brennt Die Geschichte einer Kindheit im Münsterland
: Kulturmaschinen Verlag
: 9783967630183
: 1
: CHF 4.80
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 536
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Münsterland in den Fünfzigerjahren. Seit seiner frühesten Kindheit kennt der Bauernjunge Heini nur Arbeit. Von morgens bis abends schuftet er auf dem Hof seines starrköpfigen Vaters. Von ihm immer wieder verprügelt, von seinen Geschwistern unverstanden, von seiner immer schwangeren Mutter nicht wirklich geliebt, ohne richtige Freunde, sucht Heini Trost und Halt im Glauben. Zweifel und Selbstzweifel nagen an dem Jungen, der gegen das dörfliche Leben und die Strenge und den Willen seines Vaters aufbegehrt. Doch in seinem Kampf um Unabhängigkeit und Freiheit bleibt Heini allein. Als er auch noch von einem Kirchenvertreter sexuell missbraucht wird, bricht seine Welt zusammen. Zweifelnd und verzweifelnd versucht der Junge, seinen Weg - gegen Vater, Familie, Kirche und Dorf - zu gehen. Der Glaube an das Schöne lässt ihn nicht aufgeben: Er lernt das Mädchen Isolde kennen ... Eine traurige und zugleich wunderbare Hommage an das Leben und an die Hoffnung. MEIN HIMMEL BRENNT ist ein literarisches Zeitdokument von erschütternder und gleichzeitig berührender Intensität um eine Familie im Deutschland der Nachkriegszeit. Selten hat ein Autor so schonungslos die Wirklichkeit gezeichnet und die persönliche Empfindungen beschrieben.

1

„So lange hat’s nie gedauert, wir müssen beten“, sagt Vater.

Ich hör Mutter in der Elternkammer hinter der alten Stube stöhnen.

„Was ist mit Mama?“ Ich drängle an Paula vorbei und drück die Klinke der Stubentür runter.

Paula zieht mich zurück, legt den Zeigefinger auf den Mund und flüstert: „Psst, Mama hev Koppiene. Heini, geh spielen!“

„Was soll ich denn spielen?“

Handschuhe hängen am Herd, nass vom Schneemannbauen. Immer hat Mutter Kopfweh. Heute, am Sonntagmittag, hat sie nicht mal mitgegessen. Ich renn durch den Flur zur anderen Tür der alten Stube, doch Paula stellt den Fuß von innen dagegen. „Heini, verschwinde!“ Die älteste Schwester will immer das Sagen haben.

Es schellt, ich öffne. Meine Taufpatin Tante Maria hängt im Flur Mantel und Pelzhut auf. „Heini, du bist ja gewachsen.“ Sie packt Bonbons aus und gibt mir zuerst eins.

„Das ist aber nicht nötig“, sagt Vater.

Tante Trude humpelt herbei, wischt die Hände an der fleckigen Schürze ab, schaut zu Vater. „Die ganze Arbeit mit  ’n Blagen hab ich, nu noch eins, was solln wir mit so vielen?“

„Erstmal abwarten, ob’s gut geht.“ Vater geht mit ihr und Tante Maria vom Flur gleich in die beste Stube.

Mit Mutter stimmt was nicht. Ich press ein Ohr ans Schlüsselloch. Die kleine Anna will auch. „Verschwinde“, sag ich. Gleich kratzt und beißt sie, aber ich zieh an ihren Haaren, damit sie nicht vergisst, dass ich ein Jahr älter bin.

„Hein, ihr müsst mir noch eins geben, habt ihr versprochen“, sagt Tante Maria zu Vater. „Opa hat dich im Krieg gerettet.“

O Gott, sie will noch eins. Nur nicht mich! Sie hat schon Otto. Wenn noch eins, dann nicht Anna. Auch nicht Ulla: Mit der spiel ich und vertrag ich mich am besten. Lieber die große, dickfellige Paula oder die dünne Eva mit der Brille, obwohl sie lustig ist.

Ich geh in die große Küche, die ist im Winter warm. Ich hock gern nahe am Herd auf der langen, schön glatten Bank hinter dem Tisch. Durch die Küche muss jeder durch: Zur Waschküche und zur Räucherbude, über die Diele zum Klo, zur Tante-Trude-Kammer, zum Dachboden mit Paulas Mädchenkammer oder zur alten Stube und der Elternkammer dahinter, wo ich nicht hinkann. Durch die Küche geht es auch über den Flur nach links zur besten Stube, in die wir Kinder –  auch wenn Besuch da ist –  meist nicht dürfen, daneben zur Kinderkammer für uns Kleine und am Flurende zur Jungskammer der Großen: Jakob und Karl.

Aus den Schälchen mit Resten vom Vanillepudding mit Birnen fressen Fliegen. Einige der wintermüden sitzen schon an der Wand über dem Herd, wo sie sich im Sommer drängeln, dass die Wand schwarz davon ist. Sie putzen sich die Unter- und Oberseiten der Flügel und wenden jeden einzeln. In den Töpfen kocht Wasser. Dampf durchzieht die Küche und beschlägt die beiden Fenster zur Schweinewiese. Tante Trude, mit schwarzem Kopftuch über dem Haarknoten, öffnet die Herdklappe, schiebt Holz nach, humpelt zur Pumpe in die grüne Waschküche und füllt auch den Teekessel.

„Heini, zur Seite.“

Wieder schellt es. Paula ist schneller im Flur, öffnet. „Herein!“

Doktor Löbbert im Anzug und in schwarz glänzenden Schuhen, mit Köfferchen; kalt strömt es mit ihm herein.

„Tach.“ Er geht mit großen Schritten über die Küchendielen zur Waschküche, wäscht sich die Hände an der Pumpe über dem Spülstein, schlägt nach den Fliegen und muster