: Petra Nadolny
: Heimat to go Von der Kunst, sich immer zu Hause zu fühlen
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783838745190
: 1
: CHF 8.10
:
: Angewandte Psychologie
: German
: 237
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Petra Nadolny ist Heimatwechselprofi. Das dachte sie jedenfalls - hat sie doch mit ihrer Ausreise aus der DDR bereits ein ganzes Land hinter sich gelassen und in ihrer Hofgemeinschaft im Rheinland schnell einen festen Platz gefunden. Aber auf einmal ziehen alle aus - und plötzlich ist es weg, das heimische Gefühl. Wie kann man es zurückholen - und wie viel davon brauchen wir in unserer immer mobiler werdenden Welt überhaupt? Sollen wir das Leibgericht aus der Kindheit kochen, alte Fotos durchwühlen oder gar Hirschgeweihe in die Wohnung hängen? Auf ihrer Suche entdeckt Petra Nadolny altmodische, einfallsreiche und überraschende Heimatvorstellungen - und eine neue für sich...

Die Letzte macht das Licht an

Wie ich mich auf die Suche nach einem Gefühl von Zuhause machte


Wo ist nur meine bergische Idylle hin? Mein Zuhause erscheint mir wie gefleddert, denn fast alle, die mir lieb und teuer sind, sind in den vergangenen Monaten weggezogen. Nicht nur Haus und Hof kommen mir seitdem leer vor– auch in mir fühlt es sich so an. Fast habe ich den Eindruck, meine Heimat hier im Bergischen Land ist ein Kuchen, von dem ich meinen Freunden bei jedem Auszug ein Stück als Reiseproviant eingepackt und mitgegeben habe. Und jetzt ist nicht mehr viel davonübrig.

Das ist natürlich Unsinn, aber von Umzügen und Abschied nehmen habe ich inzwischen wirklich genug. Jörg und Silke haben unsere Hofgemeinschaft mit ihren beiden Söhnen bereits Anfang des Jahres verlassen, nach Karneval gingen dann meine langjährigen Freunde Christoph und Nicole mit Sohn, und zu guter Letzt zieht jetzt auch noch meine Tochter Anna nach Berlin.

Unsere verschworene Gemeinschaft hatte an Jahren, Erlebnissen und Zusammenhalt einiges aufzuweisen. Christoph und ich haben vorüber zwanzig Jahren diesen freistehenden Fachwerkhof entdeckt und uns hier niedergelassen. Jeder von uns hatte einen Flügel des Anwesensübernommen. Vor zwölf Jahren ist dann Jörg dazugestoßen und hat die bis dahin unbewohnte Nordseite des Gebäudes mit Leben gefüllt. Wenn man so lange so dicht beieinander wohnt, weiß man, wie der andere tickt. Und ich weiß auch: Leichten Herzens ging keiner von beiden mit ihren Familien und neuen Plänen im Gepäck. Alle hatten triftige Gründe.

Ich bleibe. Aber irgendwie ist nichts mehr wie zuvor. Ein komisches Gefühl macht sich breit. Zum ersten Mal spürte ich es, als mir meine Freunde von ihren Auszugsplänen erzählten, irgendwann im vergangenen Jahr. Da versetzte es mir kurz einen kleinen Stich in der Brust. Und je konkreter die Auszugsvorhaben wurden, umsoüppiger fing dieses Gefühl an zu wuchern– genau wie das Indische Springkraut auf unserer Wiese. Wer das kennt, weiß, dessen wird man irgendwann nicht mehr Herr.

»Unsere« Wiese kann ich nun auch nicht mehr sagen! Vor allem aber weiß ich jetzt nichts mehr mit ihr anzufangen– außer das Springkraut zu rupfen. Langsam frage ich mich, ob meine Freunde im Eifer des Gefechts meine Heimat ebenfalls in irgendeine ihrer tausend Umzugskisten gepackt haben.

Als Jörgs Umzugstag Ende Januar bevorstand, schien es fast so, als hätte das Schicksal Mitleid mit mir und würde alles tun, um den Abschied hinauszuzögern. In der Nacht davor fegte der Sturm so laut und unheimlichüber das Bergische Land, dass ich aufwachte, Kopfkissen und Decke nahm und aus meinem Bett unter dem Dach auf die Couch ins Erdgeschoss wechselte. Hier hörte ich den Wind immer noch heulen, hatte aber keine Sorge mehr, er könne das Dach abdecken. Gerade als ich mich hinlegen wollte, sah ich, wie das Hoflicht anging, und hörte, wie sich nebenan eine Türöffnete. Ich machte das Fenster auf.

»Weltuntergang!«, rief Jörg und zog an seiner Zigarette.»Hätte doch noch bis morgen Nacht warten können.«

Wie jetzt? Sollte das heißen: Nach ihm die Sintflut?

Am nächsten Tag erwachte ich durch Jörgs lautes Fluchen und Türenknallen, weil der nächtliche Sturm nicht nurÄste abgebrochen, sondern ganze Bäume umgerissen hatte, von denen nun einer die Fahrt seines bestellten Umzugswagens auf unserer schmalen Zufahrtsstraße durch den Wald blockierte.

Wenig später rückte er mit Bauer Heinrich aus. Beide trugen schwere Kettensägen, um den dicken Stamm einer Fichte zu stückeln und an den Straßenrand zu rollen, damit der Laster endlich passieren konnte.

»Zwei Stunden Verspätung«, raunte der Fahrer des Umzugswagens schlecht gelaunt, als die drei schließlich im strömenden Regen vor unserer Haustür standen.»Zwei Stunden. Das bezahlt mir doch keiner!«

»Doch, ich«, antwortete Jörg.»Ich werd dir das schon bezahlen.«

Der Fahrer kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn.»So’n Scheißwetter aber auch«, schimpfte er und ließ sich im Haus zeigen, was alles mit auf die Reise gehen sollte.

Beim Einladen stand Jörg auf seinem angestammten Rauchplatz neben der Eingangstür und koordinierte angestrengt, wohin Christoph, Nicole und ich die Kartons verfrachten sollten. Seine Frau Silke hatte mit den zwei Kleinen zu tun. Und während wir anderen zusammen mit dem Spediteur die Habseligkeiten im Hänger stapelten und auf dem Weg von der Haustür zum Laster nicht nur mit den Kilos seines Inventars, sondern auch noch mit dem Nass von oben kämpften, rauchte Jörg, durchgeregnet und mit den Nerven am Ende, eine Zigarette nach der a