: Maya Shepherd
: Träume aus Gold und Stroh
: tolino media
: 9783739463186
: 1
: CHF 2.40
:
: Märchen, Sagen, Legenden
: German
: 120
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In Träumen ist nichts unmöglich: Tote können wieder ein Teil unseres Lebens sein, wir erreichen die Ziele, von denen wir nicht einmal zu hoffen wagen, und wir sind mit den Menschen zusammen, nach denen wir uns sonst nur aus der Ferne sehnen. Ich bin in der Lage, Träume zu schenken. Meine Begabung hat sich herumgesprochen und dadurch wurde die böse Königin auf meine Familie aufmerksam. Sie nennt mich Rapunzel. Manchmal frage ich mich, ob es nicht eher ein Fluch ist, anders zu sein.

Maya Shepherd wurde 1988 in Stuttgart geboren. Zusammen mit Mann, Kindern und Hund lebt sie mittlerweile im Rheinland und träumt von einem eigenen Schreibzimmer mit Wänden voller Bücher. Seit 2014 lebt sie ihren ganz persönlichen Traum und widmet sich hauptberuflich dem Erfinden von fremden Welten und Charakteren.

Der Tag der offenen Tür


Königswinter, Bahnhof, Oktober 2012

»Also dann«, meinte Joe unsicher. »Wir sind da.«

Julia und er standen sich vor dem Ausgang des Bahnhofs von Königswinter gegenüber. Die Fahrt hatte keine siebzehn Stunden gedauert und sie waren auch nicht an einem verlassenen, in Nebel gehüllten Bahnsteig angekommen. Es fiel kein blutiger Schnee vom Himmel. Alles war vollkommen normal. Für einen Sonntagvormittag waren sogar relativ viele Leute unterwegs, die sich an ihnen vorbeischoben, da sie den Weg blockierten.

»In welche Richtung musst du denn? Oder darfst du mir das auch nicht verraten?«, scherzte Julia. Vielleicht hoffte sie insgeheim, dass sie doch noch ein Stück zusammen gehen könnten.

Joe hätte nichts dagegen gehabt. Absolut nicht. Die Zeit mit ihr war wie im Flug vergangen, aber er wusste nicht, wie er ihr erklären sollte, dass er nach einem Mädchen suchte, das er überhaupt nicht kannte, ohne dabei komisch zu klingen. Je mehr er ihr erzählte, für umso bekloppter würde sie ihn halten. Eigentlich wäre es sogar egal, immerhin würden sie sich nie wiedersehen. Aber er wollte sie dennoch nicht tiefer in die Sache hineinziehen.

»Ich werde hier abgeholt«, erwiderte er deshalb ausweichend und schloss dadurch aus, dass sie denselben Weg hatten. »Und du?«

»Ich auch«, grinste sie. »Mal sehen, wer schneller ist.«

Joe zwang sich, ebenfalls zu lächeln, auch wenn ihm jede andere Antwort gelegener gekommen wäre. Jetzt musste er warten, bis sie weg war, dabei hatte er es eilig, zur Handwerkskammer zu kommen.

Er hatte sich vor seinem Aufbruch aus der WG einen Plan von Google Maps ausgedruckt, immerhin konnte er sein Handy nicht benutzen. Demnach müsste er etwa zwanzig Minuten zu Fuß gehen, aber oft stimmten die Angaben nicht und man brauchte tatsächlich viel länger. Der Tag der offenen Tür würde nur bis zum frühen Nachmittag gehen und er konnte sich nicht einmal sicher sein, dass die Ember Harms, die er dort zu treffen hoffte, auch wirklich jene war, für die er sie hielt.

Julia musterte ihn interessiert von der Seite. Das Schweigen zwischen ihnen war seltsam, nachdem sie die ganze Zugfahrt über ohne Unterlass miteinander geredet hatten. Spürte sie seine Nervosität?

»Fährt hier gleich ein Batmobil vor oder schießt eine TARDIS aus dem Boden?«, feixte sie, um die Stille zu überbrücken.

Joe schnaubt