: Christoph S, Eberle
: Wanderer, du
: EDITION digital
: 9783965213920
: 1
: CHF 4.00
:
: Lyrik
: German
: 59
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF
Dieser Band fasst achtundzwanzig Gedichte und zwei Kurzgeschichten aus zehn Jahren zusammen. Entstanden ohne Zweckgebundenheit, geben sie Aukunft über eine Reise, die nocht nicht zu Ende ist; entsprechend eint Suchen, Schauen, Unterwegssein alle Gedichte. Zwei Kurzgeschichten binden das lyrische Bouquet zusammen. Als Werkschau sind die Texte in ihrer chronologischen Reihung belassen. Sie nehmen den Leser mit in eine Gedankenstadt, die des lyrischen Ichs. Zwei Kurzgeschichten, die eine auf die andere weisend, stecken Grenzen ab, in denen Denkstraßen durchwandert werden: fragend, sinnend, sehend. Poesie - Philosophie: zwei Reiche, die eine gemeinsame Grenze teilt. In achtundzwanzig Sinngedichten wird diese oft gerne überschritten.

Christoph S. Eberle, geboren 1979 in Neunkirchen (Saar), lebt und arbeitet nahe Washington D.C. in den Vereinigten Staaten. Bis 2004 studierte er Biochemie in Bayreuth und promovierte 2008 in Bremen. Anschließend absolvierte er ein Postdoktorat am Dartmouth College in den Vereinigten Staaten. Seine Texte wurden in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht. Er ist Mitglied im Bundesverband junger Autoren und Autorinnen (BVjA).
Als ich auf meinem ersten Langstreckenflug von West nach Ost reiste, ahnte ich nicht, dass mir dies einmal mehr als Himmelsrichtungen sein würden. Elf Monate später. In diesem Juni stehe ich wieder auf philippinischem Boden. Als ich heute früh aus meinem Schlaf in mein Bewusstsein zurückkehrte, vergaß ich nicht, Dir zu schreiben. Es wurde Zeit. Mit dem Monsun gegen Abend kam Gelegenheit dazu. Durch die schmale Bucht brandet flach die Dünung. Welle um Welle fällt wie erschöpft an Land nach ungewisser langer Reise. Allmählich sank die sommerweiße Sonne am Horizont, der von Wolken reingefegt war. Dämmerung beugte sich sanft über die in die See gestreuten Eilande wie eine Mutter, die ihre Kinder zu Bett schickte. Der flimmernde Tropenglast ist nicht mehr, in dem eine verwitterte Steintreppe die Augen blendete, die von der Uferstraße zum Strand führt mit unregelmäßig hohen Stufen. In einer fernen, unscheinbarenStadt am Pazifik wird es stiller, wenn allerlei Händler, Kaufleute und Koprasbauern ihr Tagwerk beenden. Noch verhallen gelegentlich irgendwelche Rufe, ebenso das Knattern eines hin und wieder vorbeidrängelnden Motorradtaxis. Des Nachts verschwindet hier der Lärm der Straßen hinter windschiefen Palmenhütten oder Steinhäusern, die die Kräfte von Generationen aufgebraucht haben. Dann ziehen auch die Karawanen der Fischerboote draußen vor der Küste heim. Manchmal steige ich die Treppe steil zur Grotte dicht bei unserer Behausung, um ihnen nachzusinnen. Als die Palmenwälder das letzte goldene Licht verschluckt hatten, Gesichtskreise schienen sie näher herangerückt. Eine Glühbirne leuchtet nun dünn über dem Antlitz einer Marienstatur, die mir friedlich zulächelt. Moskitos fliehen vor dem schweren, rauchigen Duft von Räucherkerzen, die rings um mich abbrennen. Heute schreibe ich Dir aus einem Land, das ich liebgewonnen habe wie die Märchen, die man mir als Kind erzählte. Nun gehöre ich ihm an, weil ich Menschen angehöre, die sein Schicksal teilen. Durch meine pamanhikan bin ich ihm verbunden für immer. Lass mich Dir ganz schnell davon erzählen. Es liegt jetzt zwei Wochen, fast zwei Wochen zurück, dass wir sie feierten. Zuvor musste ich Jennifers Vater für unsere Heirat um seinen Segen bitten und darum, mich als seinen Sohn anzunehmen. Fünf Sätze hatte ich mir zurechtgelegt, die ich auswendig konnte wie ein Gedicht und ebenso hervorholte, zumal ich mir diese Worte anhand ihrer Melodie eingeprägt hatte. Dennoch klang ihm mein Tagalog wohl so natürlich, dass er erst dachte, ich spräche Englisch. Doch in allen Sprachen der Welt hätte ich zu ihm sprechen können: er hat eingewilligt und somit einen Teil von mir zum Filipino gemacht. Über alle Kulturen hinweg ist die Weihe wichtiger als der Brauch, mit dem du sie empfängst. Die Weihe, die ich meine, die ich verspürte, ist die Weihe eines Zeremoniells, das du schweigend genießt. Indem du an ihm teilnimmst, prägt es dich zugleich. Und weckt auf.