: Lena Elfrath
: Leicht wie Blei
: Edition W
: 9783949671548
: 1
: CHF 15.40
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 300
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Acht Mal hat Emma abgedrückt und sich so von ihrem Vater und dem jahrelangen Missbrauch befreit, den sie durch ihn erleiden musste. Der Preis für diesen Befreiungsschlag ist ihre Freiheit. Denn acht Schüsse sind keine Notwehr, sondern Vorsatz. In ihrer Zelle fühlt sich Emma zum ersten Mal in ihrem Leben sicher und unsichtbar. Doch als ihre Vergangenheit im Gefängnis publik wird, wollen die anderen Frauen sie zur feministischen Heldin stilisieren. Auch jenseits der Gefängnismauern kursiert bald schon ein Hashtag und die Geschichte sorgt für Aufsehen. Emma leidet unter der neu gewonnen Aufmerksamkeit und fragt sich: Ist man wirklich eine Heldin, wenn man keinen anderen Ausweg sieht, als den eigenen Vater zu erschießen? Lena Elfraths Roman 'Leicht wie Blei ' stellt Fragen rund um Täterschaft und Opferrollen und betrachtet den feministischen Diskurs aus ungeahnter Perspektive.

Lena Elfrath geboren in Frankfurt am Main, studierte Literatur- und Medienwissenschaft an der Philipps-Universität in Marburg. Heute arbeitet sie als freiberufliche Texterin und Journalistin. 2015 gründete Lena Elfrath zusammen mit zwei Partnerinnen die Agentur UBERMUT, die sich vor allem mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigt. Ihr Debütroman"Die Liebe ist ein Schmetterling" erschien 2016. Lena Elfrath lebt in Frankfurt am Main und Berlin.

Tag 1


So viel Blut

Darüber kann man staunen

Warum das nie aufhört

Dabei ist doch klar:

Wo gehobelt wird,

fallen Späne

Als ich die Jugendabteilung der Justizvollzugsanstalt betrete, sagt die uniformierte Frau, ich müsse meine privaten Gegenstände und Klamotten abgeben. Ich hatte ein paar Sachen in die U-Haft mitgenommen, weil der Mann und die Frau, also die beiden Polizisten, die gekommen waren, mich zu holen, darum baten. Also packte ich ein, was meine Hände geradeso aus dem Schrank zu ziehen vermochten. Auf jeden Fall aber eine Zahnbürste. Die Zahnbürste war immer das Erste, zu dem ich griff, wenn ich mich schmutzig fühlte. Nun soll ich aber nicht nur all das abgeben, sondern muss mich auch komplett ausziehen und sogar meine Fußsohlen zeigen. Die Frau reicht mir ein Set aus Unterwäsche, Jeans, T-Shirt und Langarmshirt. Ich erkläre, dass ich auf Privatkleidung verzichte und nur die Anstaltskleidung tragen will, und ziehe die Sachen an. Hosenbeine legen sich um meine Oberschenkel.

»Darf ich das jetzt jeden Tag tragen?«

Freude legt sich um mich herum und ich bin so aufgeregt wie bei meinem einzigen Ausgang an Fasching vor zwei Jahren. Immer musste ich ich sein, das Mädchen, eine Prinzessin, die kleine Frau, außer an diesem einen kurzen Faschingsmontag.

»Naja, Siemüssen das jeden Tag tragen. Oder eben mit dem anderen T-Shirt«, antwortet die Frau einsilbig und zeigt mir noch einmal unbeholfen den Pulli und ein weiteres Shirt. Die Frau kann nicht wissen, dass ich bis zu diesem Tag nie Hosen tragen durfte. Der Mann wollte mich im Kleid oder Rock. Mädchenhafte Erscheinung, einfacher Zugang. Wenn ich es wagen wollte, Hosen anzuziehen, wurde ich früher oder später bestraft.

»Danke, also, ich meine wirklich. Danke. Hierfür«, rufe ich.

»Bitte.«

»Sehe ich aus wie ein Mann?«

Ich übe mich in sehr breitbeinigem Stehen und frage mich, ob sich ein Mann wegen solcher Hosen-Posen so stark fühlt. Wahrscheinlich sitzen Männer aus demselben Grund breitbeinig herum: Weil sie können. Im Gegensatz zu Frauen im Rock mit mehr oder weniger Unterwäsche und im Angesicht mehr oder weniger Betrachter müssen Männer ihre Knie nicht aus Angst zusammenpressen.

»Nein, wirklich nicht«, antwortet die Frau grinsend, ohne mich anzuschauen.

Ich mag Frauen. Ich bekomme einen schweren Sack mit Zeugs in die Hand, Bettwäsche, Socken und so.

»Wollen Sie ihre Privatkleidung wirklich nicht mitnehmen? In der Zelle dürfen sie die anziehen. Glauben Sie mir, nach einem Jahr hier drin ist jede kleine Abwechslung willkommen.«

»Auf keinen Fall! Sie können die verbrennen.«

Ich werde in einer Aufnahmestation begrüßt, ein Mann erklärt etwas. Ich tue so, als würde ich zuhören, bekomme Blätter in die Hand, Anträge für Dinge, dann geleitet ein anderer Mann mich zu meiner Zelle. Gang, Stufen, Abbiegen, Gang, Gänge, Treppe hoch, Tür, Türen. Mehrere Schwellen muss ich überqueren. Ein Türsummer k