1
Verdammt. Diese Augen.
Viele Menschen haben ein Hobby. Basteln, Lesen, Bungeejumping. Was auch immer sie nach einem beschissenen Tag aufheitert. Ich hatte auch solch ein Hobby: Ich beobachtete Menschen am Flughafen. Nach einem langen, stressigen Tag oder auch, wenn ich nicht schlafen konnte, kam ich gern an den Flughafen, setzte mich in die Ankunftshalle und studierte die Leute um mich herum. Für mich gab es nichts Schöneres, als die lachenden und weinenden Gesichter jener Menschen, die sich nach langer oder kurzer Zeit wiedersahen und sich glücklich in die Arme fielen. Die Freude und die Liebe, die sie ausstrahlten, waren einfach wunderschön. Sie fühlten all das, was ich seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. Ich dachte darüber nach, wo sie gewesen sein mochten und welche Geschichten sie zu Hause erzählen würden. So vergaß ich wenigstens für eine kurze Zeit, dass ich selbst nichts zu erzählen hatte. Nicht mehr. Tja, also das war mein kleines, trauriges Hobby. Aber hey, als ob Töpfern oder Stricken so viel besser wäre!
Seufzend stand ich auf und schulterte meine kleine schwarze Handtasche. Ich war direkt nach der Arbeit hierhergefahren, um auf andere Gedanken zu kommen und mich zu beruhigen. Chad – Schleimbeutel – Danes, mein Boss, hatte mich geschlagene dreißig Minuten angeschrien, weil ich es nicht geschafft hatte, unserem neuen Investor eines unserer Prestige-Objekte zu verkaufen. Dabei hätte ich es sehr wohl geschafft, wenn ich es gewollt hätte. Aber wie hätte ich dem netten, alten Herrn mit den tadellosen Manieren diese Ruine andrehen können? Sir Mortimer Wentworth war der Inbegriff von altem Londoner Geld, aber er war auch ein Gentleman, und ich weigerte mich, ihm ein Objekt zu verkaufen, welches es nicht durch unsere interne Qualitätsprüfung geschafft hatte. Eine von Chads zahlreichen schlechten Angewohnheiten war, jedes Mal geldgeil zu werden, wenn es um die Londoner High Society ging. Nur wegen seiner Geldgier würde ich einem Mann wie Mortimer jedoch keine zweitklassige Immobilie andrehen. Also hatte ich Mortimer bei seinem Nachmittags-Tee imThe Montcalm London Gesellschaft geleistet und Klartext mit ihm geredet. In dem Wissen, dass dies mich meinen Job kosten könnte. Als ich schließlich ins Büro zurückgefahren war, um zu beichten, war Chad fuchsteufelswild gewesen. Rausgeworfen hatte er mich jedoch nicht.Leider hörte ich die kleine, fiese Stimme in meinem Kopf, die sich manchmal einschaltete, wenn ich mich vor schweren Entscheidungen drücken wollte. In den letzten Jahren war ich gut darin geworden, die Stimme zu ignorieren. Sehr gut. Ich hatte bereits die ersten Schritte Richtung Subway getan, als ein paar Reisemagazine in einem der Schaufenster meine Aufmerksamkeit erregten. Spontan betrat ich den Buchladen. Dank dieses kleinen Abstechers würde ich morgen früh sowieso total erledigt sein, und ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich einen Buchladen zuletzt von innen gesehen hatte.
Wenn Chad mich nicht bald feuerte, dann musste ich ernsthaft darüber nachdenken, selbst zu kündigen. Als freiberufliche Maklerin konnte ich tun und lassen, was ich wollte, bis jetzt hatte ich aber einfach noch nicht die Kraft gefunden, genau das zu tun. Ob mein Job mich nun erfüllte oder nicht – was er definitiv nicht tat –, er bezahlte meine Rechnungen. Was sollte ich auch sonst tun? Ich ließ meine Finger über die zahlreichen Buchrücken in dem Regal v