: Wilfried Eggers
: Paragraf 301
: Grafit Verlag
: 9783894258030
: 1
: CHF 8.00
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 436
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Heyder Cengi, ein Türke alevitischen Glaubens, hält sich illegal in Deutschland auf. Eines Tages gerät er in die Kontrolle des Arbeitsamts, es kommt zu einem Handgemenge und ein Beamter stirbt. Währenddessen wird Rechtsanwalt Peter Schlüter gebeten, die Auslieferung von Emin Gül an die türkische Justiz zu verhindern. Gül ist in seiner Heimat verurteilt worden, weil er mitschuldig am Tod von 37 Menschen sein soll. Ein Fehlurteil, sagt Güls Onkel. Schlüter übernimmt das Mandat, doch als er auch mit dem Fall Heyder Cengi konfrontiert wird, gerät er in einen Gewissenskonflikt. Ein vor Jahrzehnten begangener Völkermord wirkt bis heute nach ...

Wilfried Eggers, geboren 1951, verheiratet, drei Kinder, überzeugter Moorbewohner. Seit Ende der Siebzigerjahre ist er als selbstständiger Notar und Rechtsanwalt tätig und hat so Einblick in das gesamte Spektrum des prallen Lebens. Seit 2000 schreibt er Kriminalromane. Sein Buch 'Paragraf 301' wurde als einer der fünf besten Romane seines Erscheinungsjahres für den 'Friedrich-Glauser-Preis' nominiert. www.wilfried-eggers.de

1.


»Wackel nicht so, beim Satan!«, brüllte der Mann unter uns.

Eine Sekunde später stand er neben dem Bett und zog hinten unter dem Hemd einen Eisenspieß hervor. Dann ging er auf mich los. Aber er hatte seine Augen nicht unter Kontrolle. Es sind die Augen, die verraten, ob du Angst hast. Du musst deine Augen ruhig und überlegen blicken lassen, schon bevor du sie aufmachst. In den Augen des Mannes aber flitzte Angst hin und her wie eine Ratte, die du in die Enge getrieben hast. Ich ließ mein rechtes Bein hervorschnellen und traf die Ratte mit dem Fuß an der Kehle. Der Spieß streifte mich am Bein und fiel scheppernd zu Boden, bevor der Mann zusammensackte. Er röchelte und blieb liegen. Ich hätte ihn töten können mit diesem Tritt. Ich bin sonst ein friedlicher Mensch, der niemandem Böses will, aber als ich ihn trat, hatte ich den Bauch voller Hass. Das haben hier alle.

»Lass mich zufrieden, wenn du nicht sterben willst«, sagte ich. Ganz ruhig sagte ich das. Und sah dabei woanders hin, als interessierte mich der Verletzte nicht mehr. Denn Ruhe zeigt Macht. Seine Kumpane rührten sich nicht um ihn, aber sie wollten den Spieß, und eine behaarte Hand kroch zu dem Eisen hin. Da sprang ich schon hinunter und quetschte sie, der Mann stöhnte vor Schmerz, blieb sonst aber schweigsam, und ich nahm den Spieß. Nun hatten wir eine Waffe.

Zum Glück hatte ich nicht gelegen. Wer weiß, ob ich sonst die Kehle so gut getroffen hätte. Wir können hier tagsüber nicht liegen. Es sind nicht genug Betten für alle da. Ich hatte im Schneidersitz gehockt, im Rücken den Koffer des Deutschen, den ich bewache. Das ist eine meiner Pflichten und ich erfülle sie gewissenhaft.

Der Angreifer hatte verloren. Wer hier verliert, hat keine Würde mehr. Er ist nichts mehr wert und taugt nur noch zum Diener, zum Sklaven.

Ich bin auch Sklave, aber ich habe es besser als die anderen Sklaven, weil ich der Sklave der Ausländer bin. Wir sind nur zu viert. Es ist die kleinste Gruppe hier. Es gibt Gruppen mit über zwanzig Leuten, vielleicht sogar mehr, ich kenne sie nicht alle. Jede Gruppe hat einen Anführer. Der Anführer ist der König und, was er sagt, ist Gesetz. Die übrigen sind Untertanen, sie müssen gehorchen. Einige unterstehen nur dem König, wie Minister. Er bespricht sich mit ihnen, wenn er will. Die anderen Untertanen müssen den Ministern gehorchen und natürlich auch dem König selbst. Sie sind kleine Statthalter. Der Sklave aber muss allen gehorchen. In Gruppen, die groß sind, gibt es mehrere Sklaven. Wenn man längere Zeit hier ist, stellt man fest, dass es auch unter ihnen eine Rangordnung gibt. Immer gibt es einen, der ganz unten ist, der sich mit niedergeschlagenem Blick zur Seite drückt, wenn ein anderer seinen Weg geht. Der Mann, der mich angegriffen hatte, würde von jetzt an auch mir gehorchen.

Mein König ist ein Österreicher. Er ist ein komischer König, weil er Arbeiten macht, die eigentlich mir zustünden als seinem Sklaven. Aber das schadet seiner Würde nicht, er kann es sich leisten. Wer mächtig ist, darf geben, ohne seine Macht zu verlieren. Ja, die Macht wird durch das Geben sogar noch größer. Wer viel geben kann, ist ein mächtiger König. Zum Beispiel kocht der Österreicher für uns, er bedient uns, obwohl er König ist. Er hat ein Kuche