: Heinrich von der Haar
: RikschaTango Oskars fünfte Dimension
: Kulturmaschinen
: 9783967631609
: 1
: CHF 3.20
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 164
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Ich habe vier Herzkammern, sagt mein Kardiologe. Da kann ich auch vier Frauen lieben.' Oskar, leidenschaftlicher Tangotänzer, hält sich mit Rikschafahren über Wasser. Dank seiner Tanzkunst glaubt er auch mit sechzig noch, bei allen Frauen sein Glück finden zu können. Die souveräne Beate ist ihm zu spröde, die Kindergärtnerin Katja will ihn nur vereinnahmen, mit der jungen Blonden könnte er glänzen. Doch er lässt alle stehen, als er auf Sophie trifft, eine rätselhafte und begehrte Schönheit. Mit ihr zu tanzen ist wie ein Traum. Aber Herzen können brechen. Ein Liebesroman zwischen Tango und Rikscha.

I

1

Irgendwo musste der Eingang sein. Oskar hastete über zerbrochene Steinplatten durch einen Hinterhof, an Müll und Bauabfällen vorbei; kein Fenster erleuchtet. Es roch nach Keller und Urin. Trauten sich attraktive Frauen überhaupt hierher? Ein Trippeln ­näherte sich. Er ging langsamer. Eine ­jüngere Frau, einen Kopf größer als er. Sie trug einen Stoffbeutel, eindeutig Tanzschuhe.

»Finster hier«, sagte Oskar. »Soll ich Sie begleiten?«

Sie lachte. »Kommen Sie!«

Im dritten Hinterhof schienen aus Fenstern im ersten Stock rote Lichter, als wäre er schillernden Sumpfblüten auf der Spur. Dort musste die Tango­fabrik sein, auch wenn sich unten kein Hinweis, kein Plakat, nicht mal ein Schild fand.

Oskar folgte der Frau in den dunklen Flur, weiter hinauf über brüchige, von Kerzen erhellte Stufen. Klangfetzen eines Bandoneons wehten herab.

Den Saaleingang schmückten rote Samtvorhänge; feuchtwarme Luft strömte ihm entgegen. Parfümduft. An der Kasse vor ihm Frauen, ihre Gesichter im diskreten Licht erwartungsvoll. Nackte Schultern versprachen eine verheißungsvolle Nacht: Eine Frau eng im Arm führen, vielleicht sogar verführen, wer weiß.

Sechs Euro Eintritt, das kriegte er hin. In der Garde­robe hängte er seine Jacke auf und wechselte die Schuhe. Dann schlängelte er sich durch Reihen jüngerer Männer. Das vielsprachige Stimmengewirr erinnerte ihn an Madrid und Buenos Aires. Nach seiner Scheidung vor zehn Jahren war er viel zum Tanzen verreist gewesen. Die Männer hier waren sorgfältig frisiert, in gebügelten Hemden und Stoffhosen.

Gut, dass er ein frisch gewaschenes Hemd trug, das dunkelrote, gemustert mit kleinen Fahrrädern. Man erkannte sie erst, wenn man ihm nah, ganz nah, kam. Seine verbeulte schwarze Jeans hatte er geglättet und die Tanzschuhe auf Hochglanz gebürstet. Die abgelaufenen Sohlen würden die Frauen im Halbdunkel nicht sehen. Seinen Bauch schon. Nur nicht vergessen, ihn einzuziehen.

Auf der Theke luden Wasserkaraffen und Gläser sowie Gefäße voller Salzstangen ein. Der Barkeeper schaute freundlich. Oskar begnügte sich mit Gratiswasser.

Plüschsofas und Sessel säumten die Tanzfläche. Das kannte er von anderen Locations. Auf kleinen Tischen davor Kerzenleuchter mit Wachsbergen. Die Wände voller Spiegel und Schwarz-Weiß-Fotografien in abgestoßenen Goldrahmen, – die Mischung aus Wohnzimmer und Trödelladen gefiel ihm. Diesen Ort hatte er schon früher testen wollen, aber der Weg war ihm zu weit gewesen. Eine junge Frau, die als Argentinierin vorgestellt wurde, spielte in der